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Die Telekommunikation im SPIEGEL – Teil 10 khd
Stand:  30.12.1998   (22. Ed.)  –  File: Spiegel/10.html




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  • Neuere SPIEGEL-Berichte   (11. Teil).
  • 28.12.1998: Telekommunikation – Kaum noch Luft
  • 21.12.1998: TV-Kabel: Mittelständler als Telekom-Partner?
  • 18.12.1998: Konkurrenz: Harte Zeiten für die Telekom.
  • 18.12.1998: Verluste: Otelos Kampf gegen rote Zahlen.
  • 14.12.1998: Kommunikation total: Der siebte Kontinent.
  • 14.12.1998: TV-Computer – Vom Sofa aus in die globale Datenwelt.
  • 05.12.1998: Debakel bei Otelo.
  • 04.12.1998: Lauschangriff hoch zehn.
  • 30.11.1998: Der Letzte legt den Hörer auf.
  • 23.11.1998: Übernahme: AOL und Sun kaufen Netscape.
  • 23.11.1998: Internet: "Wir sind besessen".
  • Ältere SPIEGEL-Berichte   (9. Teil).



    "Wir sind besessen"

    Amazon.com-Chef Jeffrey Bezos über seinen kometenhaften Aufstieg und die Zukunft des elektronischen Buchhandels
    [Ed: Beispiel von erfolgreichem E-Commerce im Internet]

    Aus: Der Spiegel – 48/1998, 23. November 1998, Seite 126–130 (Wirtschaft). Das Interview führten ALEXANDER JUNG und KLAUS-PETER KERBUSK.

    Bezos, 34, gründete 1994 im US-amerikanischen Seattle den Internet- Buchhandel Amazon.com. Heute ist das Unternehmen, Börsenwert 8,2 Milliarden Dollar, weltweit größter Online-Versender von Büchern und CDs.

    SPIEGEL: Mr. Bezos, über den Buchladen gibt es fast jedes Buch innerhalb eines Tages, Versandhäuser bieten trotz Preisbindung oft günstige Lektüre an. Was ist eigentlich der Vorteil des elektronisches Buchhandels?

    Bezos: Ganz einfach, unsere Regale sind unendlich lang. Würde man unser Angebot von drei Millionen Titeln ausdrucken, entspräche der Umfang etwa zehn Berliner Telefonbüchern. Außerdem können wir das Angebot im Internet ständig erneuern, während ein Katalog meist nur einmal im Jahr erscheint und für viel Geld gedruckt und verschickt werden muß.

    SPIEGEL: Beide Handelsformen sind sich doch sehr ähnlich, der Kunde bestellt nur über ein anderes Medium.

    Bezos: Aber im Internet haben wir die Chance, zwei Dinge zu verbinden: Wir erreichen eine maximale Anzahl von Kunden, und wir können uns dennoch individuell um sie kümmern, indem wir ihnen beispielsweise Bücher empfehlen, weil wir zuvor erfahren haben, was sie gern lesen. Wir arbeiten praktisch wie ein Händler vor 100 Jahren, der jeden Kunden mit seinen Vorlieben und Abneigungen genau kannte. Das schafft der Versandhandel nicht.

    SPIEGEL: Bislang halten sich große Versandhändler wie Otto oder Quelle beim Online-Verkauf noch zurück. Fürchten Sie nicht, daß diese Riesen mit ihrer ausgefeilten Logistik irgendwann aufwachen?

    Bezos: Als die größte amerikanische Buchhandelskette Barnes & Noble vor 18 Monaten ins Netz ging, hielten uns manche schon für abgebrannt und nannten uns "Amazon.toast". Aber es ist anders gekommen: Wir hatten damals einen jährlichen Umsatz von 60 Millionen Dollar, heute sind es ungefähr 600 Millionen. Wir sind zwölfmal größer als unser nächster Wettbewerber. Es gibt genug Platz im Internet-Handel – nicht nur für ein paar Gewinner, sondern für Tausende Unternehmen. Das wird kein Milliarden-Markt, das wird ein Billionen-Markt.

    SPIEGEL: Barnes & Noble hat sich kürzlich mit dem Bertelsmann-Verlag zusammengetan und will nun auch den US-Großhändler Ingram übernehmen. Diese geballte Macht läßt Sie unbeeindruckt?

    Bezos: Ich fürchte keine Wettbewerber, ich fürchte nur unfairen Wettbewerb. Stellt sich heraus, daß die geplante Übernahme von Ingram den Wettbewerb in unfairer Weise behindert, hätte das Folgen für die gesamte Buchbranche in den USA.

    SPIEGEL: Was genau befürchten Sie?

    Bezos: Wenn der Buchhersteller Bertelsmann, der Großhändler Ingram und der eigentliche Buchverkäufer Barnes & Noble quasi zu einer Firma verschmelzen, dann könnten sie die Konditionen diktieren. Das sollte jedem Sorgen bereiten. Wir müssen jetzt abwarten, wie die amerikanischen Kartellbehörden entscheiden.

    SPIEGEL: Sie hatten zuvor auch mit Thomas Middelhoff, dem neuen Bertelsmann-Chef, verhandelt. Woran ist eine Kooperation gescheitert?

    Bezos: Wir haben uns viermal getroffen und über ein Joint-venture für Europa gesprochen. Herr Middelhoff ist ein kluger und aggressiver Geschäftsmann, den ich sehr schätze. Aber er wollte die Kontrolle über das Geschäft in Europa, und das wollten wir auch. Ich glaube, wir verstehen viel mehr vom elektronischen Handel, vom nötigen Kundenservice und der Software.

    SPIEGEL: Dafür kennt Bertelsmann den europäischen Markt vielleicht besser.

    Bezos: Millionen Unternehmer haben Ahnung vom europäischen Markt, aber nur ein paar Dutzend vom elektronischen Handel. Dennoch erwarte ich, daß Bertelsmann ein großer Wettbewerber wird.

    SPIEGEL: Sie haben den Regensburger Online-Buchhändler Telebuch.de gekauft und wollen mit Amazon.de ihre Position in Deutschland ausbauen. Glauben Sie, daß sich das Geschäft hierzulande ähnlich schnell entwickelt wie in Amerika?

    Bezos: Das Tempo wird noch größer sein. Die deutsche Post, die unsere Bücher ausliefert, arbeitet schneller und effizienter als die Post in den USA. Dort braucht ein Paket im Schnitt drei Tage, in Deutschland, wo 82 Millionen Menschen auf relativ engem Raum leben, kommt das Paket meist schon am nächsten Tag an.

    SPIEGEL: Dafür existiert in Deutschland eine gesetzliche Preisbindung. Sie können hierzulande Bücher nicht wie in den USA mit bis zu 40 Prozent Rabatt verkaufen.

    Bezos: Das spielt keine allzu große Rolle. Die Kunden nutzen Amazon.com nicht so sehr wegen der niedrigen Preise, sondern weil der Service stimmt. Das sagen uns zumindest die Kunden. Die Befragungen haben auch ergeben, daß sie Musik- CDs online bestellen wollen. Also haben wir vor fünf Monaten damit begonnen, jetzt sind wir der größte Anbieter weltweit. Wir sind besessen, wenn es um Service geht.

    SPIEGEL: Viele stationäre Händler fürchten, wegen der Internet- Konkurrenz überflüssig zu werden. In den USA wird dieser Prozeß schon mit "to get amazoned" umschrieben.

    Bezos: Keine Sorge, das Netz wird zusätzliches Wachstum schaffen und nicht nur das vorhandene Volumen ersetzen. Ein Beispiel: Es gibt viele Menschen in der Welt, die früher kaum eine Möglichkeit hatten, deutschsprachige Literatur zu bekommen. Jetzt ist das kein Problem mehr, egal wo sie wohnen.

    SPIEGEL: Aber die Welt verfällt ja deswegen nicht ins kollektive Lesefieber. Der traditionelle Buchhandel muß doch Marktanteile verlieren.

    Bezos: Wenn etwas Neues kommt, haben die Menschen immer Angst, es werde das Alte vernichten. Als das Fernsehen und der Videorecorder erfunden wurden, hatte jeder geglaubt, das sei der Tod des Kinos – und heute ist die Filmwirtschaft größer denn je. Die alternativen Kanäle erzeugen ganz neue Umsatzströme: Zuerst wird der Film im Kino gezeigt, später als Video verkauft, so können die Studios mehr Geld ausgeben für neue Filme, und die Kinos sind voll. Der Online- Buchhandel wird ähnliche Effekte auslösen: Wenn der Kunde Bücher im Internet schon vor der Veröffentlichung reservieren kann, erhalten die Verlage wertvolle Informationen. Sie können besser einschätzen, wie hoch die Auflage eines Buches sein muß. Das spart Kosten, die Preise gehen runter, das Volumen steigt, und dieser Effekt kommt letztlich auch dem stationären Handel zugute.

    SPIEGEL: Sie glauben also, das große Buchhändlersterben wird ausbleiben?

    Bezos: Ich bin sicher, daß der traditionelle Buchhandel eine hervorragende Zukunft hat – wie es eben auch das Kino erlebt hat. Ich kaufe die Hälfte meiner Bücher in einer Buchhandlung in Seattle, weil ich auf die sinnliche Wahrnehmung beim Bücherkauf nicht verzichten will. Die andere Hälfte meiner Bücher hole ich mir natürlich bei Amazon.com. Es ist keine Frage von "entweder – oder".

    SPIEGEL: Nun kommt auch noch das elektronische Buch in den Handel, ein Minicomputer mit Roman oder Sachbuch auf dem Bildschirm. Auch dafür ist Ihrer Meinung nach Platz?

    Bezos: Die jetzige Generation solcher Geräte hat keine Chance. Papier ist noch immer als Darstellungsmittel den Computerbildschirmen weit überlegen. Aber wenn sich das irgendwann ändern wird – und es wird sich ändern –, dann stecken die stationären Händler in der Tat in großen Schwierigkeiten. Dann wird kein Mensch mehr zum Buchhändler gehen, um sich einen Text herunterzuladen.

    SPIEGEL: Die Marktforscher überschlagen sich mit optimistischen Prognosen, wie stark der elektronische Handel wachsen wird. Ist das nicht allzuviel Tamtam?

    Bezos: Es ist schon eine seltsames Verständnis von Präzision, wenn Marktforscher sagen, im Jahr 2002 würden die Umsätze im Netz beispielsweise auf genau 897 Milliarden Dollar steigen. Sie leben davon, solche Prognosen zu stellen. Diese Daten werden zur Grundlage von Business-Plänen und dienen als Hilfsmittel, um Kapital zu bekommen. So funktioniert das System eben, aber es ist nicht gerade hilfreich.

    SPIEGEL: Was schätzen Sie, wie sich der elektronische Handel entwickelt?

    Bezos: Ich denke, in zehn oder noch mehr Jahren werden vielleicht 15 bis 20 Prozent der Umsätze in bestimmten Branchen über das Netz erwirtschaftet.

    SPIEGEL: Aber noch machen die wenigsten auch nur einen Cent Gewinn mit dem elektronischen Handel. Sogar Amazon.com will erst im Jahr 2001 profitabel sein.

    Bezos: Wir haben nie eine Prognose darüber abgegeben, wann wir schwarze Zahlen schreiben, das sind Schätzungen von Analysten. Wir stellen interne Projektionen auf, aber wir machen sie nicht öffentlich, weil auch das ein falsches Verständnis von Präzision wäre. Dieses Geschäft ist so dynamisch und verändert sich so schnell, da können wir die Entwicklung beim besten Willen nicht voraussehen. Wir waren übrigens schon einmal profitabel – im Dezember 1995 für etwa eine Stunde. Damals passierte uns das Mißgeschick, daß wir das Geld nicht schnell genug reinvestiert hatten.

    SPIEGEL: Aber irgendwann wollen die Aktionäre länger als nur eine Stunde lang Gewinne sehen.

    Bezos: Wir gehen gerade durch ein kritisches Stadium. Wir wollen unser Angebot weltweit ausbauen und noch mehr in den Kundenservice stecken, das alles kostet viel Geld. Das wäre jetzt ein miserabler Zeitpunkt, Gewinne zu machen.



    Übernahme: AOL und Sun kaufen Netscape

    Ein Deal, der allen nutzen könnte: Der Online-Dienst AOL will Netscape kaufen, Computerbauer Sun soll in das Geschäft einsteigen. Die neue Allianz könnte Microsoft Paroli bieten – als Teil der Strategie "AOL anywhere".

    Aus:
    Spiegel Online – 23. November 1998 (nur elektronisch publiziert).

    SAN FRANCISCO. Netscape ist und war die erste wirkliche Erfolgsstory des World Wide Web. Netscapes Navigator, in Anfangsjahren noch Mozilla genannt, ermöglichte den schier grenzenlosen Aufstieg des Web und machte das Internet publikumstauglich. Die Geschichten um die beiden Netscape-Gründer waren der Inbegriff des amerikanischen Traums: Vom Studenten zum Milliardär. Nun ist der Traum vorbei – wenn auch bestens bezahlt. AOL will die Softwareschmiede Netscape übernehmen. Der Softwarekonzern Sun Microsystems soll als Partner in das Abkommen einbezogen werden.

    Der Kaufpreis dürfte über dem Börsenwert Netscapes von rund vier Milliarden Dollar (6,8 Milliarden Mark) liegen, verlautete am Sonntag abend in Branchenkreisen in San Francisco. Eine abschließende Einigung sei noch nicht erzielt worden. Die Gespräche könnten auch noch scheitern.

    Eine solche Allianz würde für die Partner Sinn machen. AOL würde sich von Microsoft unabhängig machen. Mit der Software-Firma besteht zur Zeit noch ein exklusiver Vertrag: AOL muß den Internet Explorer von Microsoft in seine Zugangssoftware einbinden und als Browser verwenden. Dieser Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Zusätzlich profitiert AOL von Netscapes Netcenter, einer der meistfrequentiertesten Zugangsseiten im Web. Diese Seite könnte weitere Werbe-Einnahmen für AOL bedeuten. Dazu bekäme AOL mit Netscape eine neue Marke, die bei Internet-Nutzern einen guten Ruf genießt.

    Sun hat die Programmiersprache Java auf den Markt gebracht, die Programme unabhängig vom jeweils genutzten Betriebssystem zum Laufen bringt. Sun könnte Java über den Netscape Navigator besser vertreiben und so Microsoft Paroli bieten. Zwar hat auch Microsoft Java in den Internet Explorer eingebunden, allerdings in einer abgewandelten Version. Gegen diese Veränderung prozessiert Sun und hat in einer einstweiligen Verfügung einen ersten Erfolg erreicht. Microsoft muß neu ausgelieferte Explorer-Versionen mit unverändertem Java versehen. Weiterer Vorteil von Sun: Der Zugang zu den Electronic Commerce-Produkten und Web-Server-Programmen von Netscape.

    Netscape muß sich verändern. Startete der Browser zu Beginn mit Marktanteilen von über 80 Prozent, liegt dieser jetzt nur noch bei knapp über 50 Prozent. Grund dafür ist der Markteintritt Microsofts. Bill Gates Softwarestrategen hatten den Internet Explorer in das Betriebssystem Windows eingebunden und den Browser dadurch kostenlos mitvertrieben. Netscape sah sich veranlaßt seinen Browser ebenfalls kostenlos anzubieten und finanziert sich nun größenteils über Werbung auf seiner Internet-Homepage. Netscape verdiente im Geschäftsquartal bis Ende Juli bei einem Umsatz von 150 Millionen gerade 88.000 Dollar.

    Ob Microsoft mit der Bündelung von Windows und dem Explorer wettbewerbswidrig gehandelt hat, ist gerade Gegenstand eines Kartellverfahrens, in dem das US-Justizministerium und 20 US-Bundesstaaten Gates Unternehmen verklagt haben. Ein Aufkauf von Netscape durch AOL und Sun könnte Öl auf die Wunden beider Kontrahenten gießen. Netscape könnte argumentieren, Microsofts Browserkrieg habe dazu geführt, das Netscape nur noch durch potente Käufer überleben kann. Microsoft nützt die neue große Allianz aus AOL, Netscape und Sun, weil sich der Softwareriese nun kleiner machen kann.

    AOL ist der größte Online-Dienst mit weltweit über 14 Millionen Kunden. Im Quartal bis Ende September erzielte AOL einen Umsatz von 858 Millionen und einen Gewinn von 68 Millionen Dollar. Der Kauf von Netscape ist Teil der AOL-Strategie "AOL anywhere". AOL-Chef Steve Case hatte das Motto aufgestellt: Überall AOL. Durch eine Reihe von Zukäufen, wie ICQ oder CompuServe und neuen Projekten wie AOL-TV kommt AOL diesem Ziel immer näher. Netscape ist da nur ein weiterer passender Baustein.



    Der Letzte legt den Hörer auf

    Kampf bis zur letzten Einheit im Telekommunikationsmarkt. Zickig beißt Goliath Ron Sommer auf die Davids der Branche ein. Das Ende des gerade entstandenen Marktes kommt in Sicht.

    Aus:
    Spiegel Online – 30. November 1998 (nur elektronisch publiziert).

    T-War Im münsterländischen Coesfeld beten in der Liebfrauenburg Nonnen für das Erbarmen des Herrn. Einige hundert Meter weiter flehen zehn Männer in einem verräucherten Konferenzraum um Erhörung durch die Deutsche Telekom. Die Herren im Business-Anzug sind Geschäftsführer der zehn größten Unternehmen des Ortes. Und ihr Draht zur Telekom ist empfindlich gestört. Seit Wochen können Mitarbeiter ihrer Unternehmen nicht mehr ungestört telefonieren: Grund: Die Unternehmen sind gemeinsam zum privaten Anbieter Star Telecom gewechselt. Das mag die Telekom gar nicht und schnürt die Leitungen dicht – es kommen kaum noch Verbindungen zustande. "Aber wir halten durch – wir wechseln nicht zur Telekom zurück" zeigt sich Jochen Hunkemöller, Geschäftsführer der Coelan Chemie-Werke, kampflustig.

    Nicht alle sind so durchhaltewillig: "Immer mehr Kunden wechseln wieder von den privaten Anbietern zur Telekom zurück" seufzt Telekommunikationsberater Peter Zils. Elf Monate nach der Liberalisierung des deutschen Telekommunikationsmarktes kracht es. Und die Telekom bestimmt die Größe der Böller. Telekom Chef Ron Sommer schafft sich Feinde an allen Ecken. Nur die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, schwankt, auf wessen Seite sie stehen soll. Gezwungenermaßen: Politischer Druck der neuen Bundesregierung könnte sonst Köpfe rollen lassen.

    Sommer hat eine PR- und Geschäftsstrategie entwickelt, die äußert geschickt Wettbewerber an die Wand drückt. Die Strategie reduziert sich auf die Formel: Erst die Kleinen, dann die Großen. Ein breite Front von Konkurrenten formiert sich jetzt zum Widerstand gegen den übermächtigen Ex-Monopolisten. Wichtige Entscheidungen der, von Sommers Bonner 80-Mann-Lobbyisten-Truppe entsprechend gebrieften, Regulierungsbehörde stehen an, die sich desolat auf den Markt auswirken könnten. Auch die EU-Kommission beobachtet mittlerweile argwöhnisch das Treiben der Telekom und der Regulierungsbehörde. "Die Situation wird allmählich sehr kritisch" so Stefan Rating, Sprecher von EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert.

    Allerorten klagen die kleinen Netzbetreiber und Reseller über Netzengpässe und können dies mit Zahlen belegen. Die Telekom liefere nicht genügend Leitungs-Kapazitäten – die Folge: entnervte Kunden, die über den privaten Anbieter ihrer Wahl keine Verbindung bekommen, wechseln zurück zur Telekom. Sommers Pläne gehen auf. Die Liste der gefrusteten Kleinen ist lang: Star Telecom, TelePassport, Talkline, First Telecom, TelDaFax und so fort. "Es kann nicht angehen, daß wir neue Verbindungsrechner fertig aufgestellt haben – immerhin eine Millioneninvestition – und dann von der Telekom nicht angeschlossen werden" wettert Georg Hofer, Geschäftsführer der Telepassport. Lieferzeiten überschreiten deutlich das Maß des üblichen: Teilweise werden vor langem bestellte neue Verbindungsstellen erst Ende kommenden Jahres von der Telekom geliefert. Wartezeiten von sechs bis 18 Monaten kommen da zusammen, moniert auch Talkline-Sprecherin Susanne Sperling.

    Immer mehr Endkunden klagen: Die Baumarktkette Hagebau ist davon gleich mit mehreren Projekten betroffen. Olaf Ehrhorn, der als Projektleiter eine zentrale Einkaufsgemeinschaft leitet: "Wir haben ein ambitioniertes Projekt gestartet: Jeder Baumarkt sollte von günstigeren Tarifen der privaten Anbieter profitieren können. Davon bleibt jetzt nichts übrig, weil die Telekom nicht ausreichend Leitungskapazität zur Verfügung stellt." Bei der Hälfte der Gespräche, die im Preselection-Verfahren zustande kommen sollen, erwartet die Baumärktler nur ein sogenanntes "Gassenbesetzt". Den Kunden liegen schriftliche Bestätigungen der privaten Anbieter vor, daß diese genügend Leitungskapazität zur Verfügung stellen. "Das sind Daumenschrauben, die die Telekom anlegt." sagt Sven-Eric Heun, Anwalt der renommierten Sozietät Clifford Chance. Stefan Legner, Vorstandsmitglied der Teldafax AG: "Die Dimensionen von nicht durchgeleiteten Gesprächen sind enorm. Aber uns sind die Hände gebunden."

    Doch das reicht der Telekom offenbar noch lange nicht: Die kleinen Anbieter werden mit einstweiligen Verfügungen überzogen. Eine Verfügung pro Woche gilt bei einigen Anbietern als Regel. Bevorzugt werden dabei schwache Glieder in der Kette ausgewählt, so beispielsweise unabhängige Vertriebspartner, die durch einstweilige Verfügungen unter Druck gesetzt werden. "Wenn ein Wettbewerber neue Produkte auf dem Markt bewirbt, endet das in einer Verfügung" sagt Richard Leitermann, der als Anwalt mehrere Klienten aus der Branche vertritt. Natürlich funktioniert für Telekom-Kunden der Wechsel zurück zur Telekom schneller als hin zum privaten Anbieter, der hier auf das Good-Will der Telekom angewiesen ist.

    Sommer schießt sich auf die Kleinen ein. Tele2- Geschäftsführer Kjell Nilsson: "Wir waren zu erfolgreich". Aus der Konzernzentrale von Mannesmann Arcor ist aus interner Quelle zu hören: "Wir sind froh, daß die Telekom uns nicht zum Ziel erklärt hat". Das könnte sich ändern. Sobald kleine Mitbewerber durch eine große Allianz der im Branchenjargon G-4 genannten Anbieter Telekom, Otelo, Viag-Interkom und Arcor vom Markt verschwunden sind, kann die Telekom ungehindert auf die noch verbliebenen G-4- Mitglieder einschlagen. In zwei bis drei Jahren haben diese die Hauptinvestitionen in Netze abschlossen – müssen aber kräftig abschreiben. Bei der Telekom steckt genügend Potential in den Leitungspreisen, um die Konkurrenz zu unterbieten – das steuerzahlerfinanzierte Netz macht es möglich. Sommers öffentlichkeitswirksame Strategie hilft dabei: Immer wieder forderte er, Anbieter müßten in Netze investieren, investieren, investieren.

    Die eigentlichen Netzpioniere wie Star Telecom, MCI-Worldcom oder Colt, haben es besonders schwer. Sie können nicht auf die alten Netze der Bahn oder der Energie-Monopolisten zurückgreifen und starten bei Null. Mehr als 15 Unternehmen sind mittlerweile dabei, eigene Weitverbindungs- Leitungen aufzubauen. Die Netzüberkapazitäten der kommenden Jahre werden dramatisch, der Verdrängungswettbewerb hart.

    Ein gerade veröffentlichter Bericht der EU-Kommission bestätigt die Tarif-Misere: In anderen EU-Ländern sind die Telefon-Tarife für Mietleitungen und Endkunden deutlich niedriger. Dagegen haben allerdings ausländische Investoren kaum noch Lust, in Deutschland zu investieren. Norbert Posch, Venture Capitalist und eine bekannte Größe der Branche, klagt: "Investitionen im deutschen Telekommunikationsmarkt rechnen sich im Vergleich mit anderen Ländern kaum noch."

    Die Regulierer könnten dem Wettbewerb zusätzlichen Schaden zufügen: Drei wichtige Entscheidungen stehen bevor und sind gerade wieder herausgezögert worden. Der Preis der Teilnehmeranschluß- Leitung, die Interconnection- Gebühren und im Zusammenhang damit eine Neudefinition, wer als Netzbetreiber gelten darf und wer nicht sowie die Endkundentarife der Telekom.

    Absurde Situationen könnten entstehen. Wer jetzt bereits Verträge mit der Telekom über die Netzzusammenschaltung abgeschlossen hat, sogenannte Interconnection (IC)-Verträge, ist vorerst auf der sicheren Seite. Bei wem es der Telekom gelungen ist, die Verhandlungen über den Vertrag hinauszuzögern, der kann – so will es Regulierungvize Arne Börnsen (SPD) – nur noch einen "besonderen Netzzugang" bekommen. Das hieße: IC-Gebühren plus Summe X für die Gesprächsführung über Telekom-Leitungen. Das Börnsen-Modell sieht drei oder vier Klassen von Betreibern vor – so genau weiß noch niemand, was Börnsen will, er selbst offenbar auch nicht. "Was hier diskutiert wird, ist Humbug" so der Frankfurter Rechtsanwalt Richard Leitermann. Schon bisher gibt es eine Staffelung der Tarife: Wer längere Strecken der Telekom mietet, muß dafür höhere Gebühren zahlen: So entsteht im Mittel eine Interconnection- Gebühr von 2,7 Pfennig pro Gesprächsminute.

    Neu dazu kommt eine Gängelung der besonderen Art: Die 48-Erlangn- Regel, die so kompliziert ist, daß selbst Fachleute sie nur mühsam erklären können. Die Maßeinheit Erlangn mißt den Telefonverkehr, der zu einer bestimmten Stunde, meist der "Telefonie-Hauptverkehrszeit" durch die Leitungen fließt. Die Telekom verlangt jetzt, das ab 48 Erlangn die privaten Anbieter einen neuen Ort der Zusammenschaltung einrichten müssen. "Lächerlich" meint Bernhard Pussel, Geschäftsführer der First Telecom "so sollen die Anbieter nur gezwungen werden, viele zusätzliche 'Orte der Zusammenschaltung' aufzubauen, die unnötig sind." Denn: 48 Erlangn sind bereits bei zwei Zwei-Megabit- Standleitungen erreicht – eine lächerliche Größe, mit der nahezu jedes mittelgroße Unternehmen am Netz hängt. Allein die Regulierungsbehörde selbst hat vier Zwei-Megabit-Leitungen. "Das zielt alles auf die mittelgroßen Anbieter: Diese werden systematisch aus dem Markt geschmissen" vermutet Sven-Eric Heun.

    Der Preis für die Teilnehmer-Anschlußleitung (TAL) wird die nächste Hürde für die privaten Anbieter. Eigentlich sollte am 30. November entschieden werden, wieviel die Privaten künftig monatlich an die Telekom zu zahlen haben, um die letzte Meile zum Kunden zu überbrücken. Der bisherige Preis liegt bei 20,65 Mark. Die Telekom fordert 47,26 Mark, die Konkurrenz errechnet Preise zwischen 15 und 20 Mark. Jetzt wurde die Entscheidung verschoben: Wirtschaftsminister Werner Müller ließ die Telekom ihren Antrag zurückziehen. Alles bleibt im Unklaren. Eventuell, so ist aus Bonner Quellen zu hören, werde wieder nur ein vorläufiger Preis festgesetzt. Elmar Müller, postpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion: "Das ist ein Skandal, es muß endlich Ruhe in den Markt."

    Die Regulierer werden – politischer Druck macht es möglich – voraussichtlich einen Preis zwischen 25 und 30 Mark festlegen. Damit läge der Preis über der Grundgebühr, die die Telekom Endkunden berechnet. Private müssen also die Grundgebühr subventionieren, die sie ihren künftigen Ortsnetz-Kunden anbieten wollen. Nur so könnten die Kunden gelockt werden. Andere Alternative: Nach Erhöhung der TAL-Gebühren könnte die Telekom die Grundgebühr für eigene Kunden anheben. Im Gegenzug kann die Telekom die Gesprächstarife drastisch senken – 63 Prozent sind bereits angekündigt. Das macht den privaten Anbietern endgültig das Leben schwer.

    Im Ingenieursland Deutschland stechen die kleinen Anbieter besonders durch Service-Orientierung hervor. Dagegen hat sich die Telekom früher nie um die Kunden gekümmert – jetzt muß sie einsehen, daß die alte Reihenfolge: "Erst die Netze, dann die Kunden" nicht mehr gelten kann. Die Privaten machen es vor. Mit hohen Investitionen in den Service nehmen Sie der Telekom die Kunden ab. Auch die anderen Großen haben ob der Flexibilität der Kleinen häufig das Nachsehen. Das macht sie irgendwann zum gefundenen Fressen – sobald die Kleinen durch Sommers geschickte Strategie ausgeblutet sind, könnten sie mit wenig Geld aufgekauft werden und die Großen könnten die Kunden übernehmen – Ein Oligopol als Ende des Wettbewerbs: Der letzte legt den Hörer auf.



    Lauschangriff hoch zehn

    Die Europolizei hat Pläne in der Schublade, die das Abhören jeglicher digitalen Kommunikation ermöglichen sollen. Datenschützer warnen vor dem endgültigen Schritt in den Überwachungsstaat.

    Aus:
    Spiegel Online – 4. Dezember 1998 (nur elektronisch publiziert).

    Die Europäische Union hat große Pläne: Die gesamte mediale Kommunikation ihrer Bürger und Unternehmen, die sich langsam aber sicher für die neuen Medien wie Internet oder Mobilfunk erwärmen, soll auch im digitalen Zeitalter nicht dem "Auge und Ohr des Gesetzes" entgehen. Auf der Wunschliste der Sicherheitsbehörden ganz oben steht seit langem die Einrichtung eines internationalen Abhörsystems, das ihnen Zugang zu möglichst umfassenden Kommunikationsdaten gibt. Sie wollen dadurch endlich mit dem Spionagesystem ECHELON gleichziehen, das die Geheimdienste der USA, Großbritanniens, Neuseelands, Australiens sowie Kanadas bereits nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, und das Vorbild an Perfektion und Reichweite sogar noch übertreffen. Effektive Verbrechensbekämpfung ist das Ziel, der Schutz von Grund- und Bürgerrechten muß demgegenüber zurückstehen. "Kein Datenpaket", fürchten Ute Bernhardt und Ingo Ruhmann, Vorstandsmitglieder des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), soll "bei der Überwachung ausgelassen werden."

    Die Ängste um Datenschutz und Freiheitsrechte sind nicht aus der Luft gegriffen. Die Arbeitsgruppe ENFOPOL des Europäischen Rats hat im September ein Papier mit Vorschlägen erstellt, wie die bestehenden Abhörmaßnahmen im Bereich Telekommunikation auf globale, satellitengestützte Mobilfunksysteme übertragen werden können. Derartige Dienste stehen momentan unmittelbar vor ihrer Einführung, Iridium plant die Inbetriebnahme ihres Systems noch für dieses Jahr. Andere Anbieter wie Teledesic wollen bis 2003 folgen und die globale Kommunikation auf eine neue Stufe heben.

    Daneben geht es den Europolizisten auch um das Internet: sie fordern – wieder einmal – den uneingeschränkten Zugang zu "Daten im Klartext" oder die Bereitstellung von Nachschlüsseln, falls kryptographisch abgesicherte Botschaften durchs Netz geschickt werden. Die als "Ratsbeschluß" ausgewiesenen Dokumente hat das Netzmagazin "Telepolis" Anfang der Woche im Rahmen einer Artikelserie veröffentlicht und damit für Aufruhr in der Netzgemeinde, bei Datenschützern und Politikern gesorgt.

    Was die ENFOPOL-Ratsgruppe im Detail fordert, läßt den Kritikern die Haare zu Berge stehen: Strafverfolgungsbehörden sollen Zugriff auf sämtliche "von der überwachten Einrichtung erzeugten Signale" in "Echtzeit" erhalten – vom Namen des Anrufers und Angerufenen über Rufnummernumschaltungen bis hin zu Mailboxaufzeichnungen. Auch auf Kontoverbindungsdaten oder Gebührenabrechnungen des Überwachten haben es die Lauscher abgesehen, bei Internet-Diensten verlangen sie die Übermittlung von Zugangscodes wie Paßwörtern oder PINs. Damit würde der Manipulation von Daten Tür und Tor geöffnet Nationale Vorschriften für die Erfordernis richterlicher Genehmigungen für die Schnüffelei könnten so umgegangen werden, urteilen Datenschützer. "Gebt uns alles, was Ihr habt", beschreibt das FIfF das schlichte Muster des Vorschlags. Die EU, die mit ihrer im Oktober in Kraft getretenen strengen Datenschutzrichtlinie Unternehmen willkürliches Datensammeln und die Erstellung von personenbezogenen Nutzerprofilen untersagt würde damit das Anlegen hochsensibler Datenbanken in den Polizeiämtern fördern und sich zur "Überwachungsunion" entwickeln.

    Für die FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser- Schnarrenberger zeigt der Entschließungsentwurf, "welche Dimensionen der Zugriff auf personenbezogene Daten und Bestandsdaten" annehmen könnte. Europäischen Polizeibehörden würde durch den "Lauschangriff hoch zehn" ein "demokratisch und nationalstaatlich nicht mehr kontrollierbares Instrument in die Hand gegeben", fürchtet auch der Internetexperte der SPD, Jörg Tauss. Alle momentanen Bemühungen um Datenschutz würden zunichte gemacht, empört sich der Bundestagsabgeordnete, der erst vor kurzem zusammen mit seiner Kollegin Ute Vogt ein umfassendes Eckwerte- Papier der SPD-Fraktion zum "Modernen Datenschutzrecht" entworfen hat. Ganz abgesehen davon sei ENFOPOL nicht finanzierbar, da die Kosten alle jetzigen Militärausgaben in der EU übertreffen würden.

    Das Bundesinnenministerium kann den Rummel um ENFOPOL nicht verstehen. "Die im Internet kursierenden Papiere befinden sich auf der Arbeitsebene der einzelnen Ratsgremien und sind noch lange nicht abschließend beraten", weiß die Sprecherin Andrea Schumacher. Letztlich beruhe das von Österreich initiierte Dokument auf der Fortschreibung einer Entschließung der ENFOPOL- Gruppe von 1995 zur Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit, dazugekommen sei nur die Einbeziehung neuer Medien. "In jedem Fall richten sich die vorgeschlagenen Maßnahmen aber nach nationalem Recht", versucht Schumacher die Gemüter zu beruhigen. Abhörwünsche der Behörden müßten in Deutschland in Einklang stehen mit der Strafprozeßordnung, dem Außenwirtschaftsgesetz sowie den Regelungen für die Geheimdienste.

    "Die neuen ENFOPOL-Papiere entbehren jeglicher praktischer Relevanz", glaubt auch Siegmar Mosdorf, SPD-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Auf Fachebene bezweifele man daher ressortübergreifend, ob die überarbeiteten ENFOPOL-Empfehlungen überhaupt erneut auf die Tagesordnung des Europäischen Rats gesetzt werden sollten. Vor allem die Aussagen zur Kryptographie lehnt Mosdorf ab, da Methoden wie Key Escrow oder Key Recovery, die zur Entschlüsselung einer Nachricht durch Sicherheitsbehörden nötig sind, von der Bundesregierung nicht befürwortet würden: "In Bonn fordert derzeit niemand ernsthaft ein Krypto-Verbot." Bis zum Frühjahr werde man im Rahmen einer interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Wirtschaftsressorts Krypto- Guidelines mit "liberalem Duktus" aufstellen. Bleibt dann nur noch das Problem, die vom Telekommunikationsgesetz (TKG) geforderte, in ihrer ersten Version vom Frühjahr aber von der deutschen Wirtschaft vehement abgelehnten Telekommunikations- Überwachungs- verordnung (TKÜV) damit in Einklang zu bringen.

    Datenschützer aller Couleur halten die überarbeiteten ENFOPOL- Papiere trotz des Abwiegelns der Bundesregierung für überaus brisant. "Hier wird ein Zug auf eine Schiene gesetzt, die noch nicht ganz gebaut ist", erläutert Ruhmann vom FIfF. So würden auch im Bereich Kryptographie neue Begehrlichkeiten geweckt, selbst wenn einer europaweiten Kontrolle der Verschlüsselung nur mittelbar das Wort geredet würde.

    "Heikel ist dabei vor allem der vorgeschlagene Zugriff auf Paßwörter und auf Bankverbindungsdaten", meint Ruhmann. Das stehe so im deutschen Gesetz noch nicht drin, ließe sich aber mit dem TKG in Einklang bringen: "Dort werden geschäftsmäßige Anbieter von Telekommunikation in Paragraph 89 dazu verpflichtet, 'Daten zum Vertragsverhältnis' an die Sicherheitsbehörden herauszugeben." Und was im Vertrag mit einem Provider zu stehen habe, könne man ja noch genauer festsetzen. Im TKG macht auch Lukas Gundermann, juristischer Fachexperte beim Kieler Landesdatenschutzbeauftragten, das eigentliche Problem für die Bundesrepublik aus: "Fast alles, was in den neuen ENFOPOL- Papieren aufgeführt wird, ist nach deutschem Recht schon machbar."

    Die "weitgehende Parallelität zwischen den bestehenden deutschen Vorschriften und den ENFOPOL-Papieren" könne kaum ein Zufall sein und laße für die Zukunft nichts Gutes ahnen, urteilt Gundermann.

    "Viele national getroffene Entscheidungen zur Sammlung und Verarbeitung von Daten zur Verfolgung von Kriminalität bekommen jetzt eine ganz andere Bedeutung und entfalten eine Dynmamik in Europa, die zu erheblichen Gefährdungen für den Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen führen wird", schließt sich Leutheusser- Schnarrenberger den Ängsten der Datenschützer an. Die ehemalige Justizministerin erwartet deswegen von der Bundesregierung, daß sie "den Zugriff von Behörden auf den gesamten Fernmeldeverkehr erheblich beschränkt" und dem Entschließungsentwurf von ENFOPOL "entschieden entgegentritt".

    Ob mit den Kritikern der Überwachungspapiere in Regierung wie Opposition die weitere Aushöhlung der Bürgerrechte vermieden werden kann, wird sich voraussichtlich im nächsten Halbjahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft herausstellen. Die Europolizisten, mit Rückendeckung des amerikanischen FBI werden sich nicht leicht geschlagen geben. "Die seit Lebenszeiten bestehenden legalen oder illegalen Abhörmöglichkeiten", schreiben die Kryptoexperten Whitfield Diffie und Susan Landau in ihrem Buch "Privacy on the Line", "haben uns Generationen von Polizisten gebracht, die sich eine Welt ohne Lauschangriffe nicht mehr vorstellen können."



    Debakel bei Otelo

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 5. Dezember 1998 zum Kurzartikel "Debakel bei Otelo" im SPIEGEL – 50/1998, 7. Dezember 1998, Seite 77 (Trends).

    HAMBURG. Immer dramatischer wird nach einem Bericht des Nachrichten- Magazins DER SPIEGEL die Lage bei der Veba/RWE- Telefontochter Otelo. In den nächsten Tagen wird Otelo- Chef Thomas Geitner den beiden Mutter- konzernen laut SPIEGEL voraussichtlich neue Hiobsbotschaften verkünden müssen. Zusätzlich zu den bisher bekanntgewordenen Verlusten von rund 2,2 Milliarden Mark wird bei der Telefongesellschaft ein Sonderabschreibungsbedarf von fast 400 Millionen Mark anfallen – und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht.

    Nach Einschätzung von Unternehmensberatern, so DER SPIEGEL, dürften die Verluste von Otelo und dem Mobilfunkbetreiber E-Plus, an dem Otelo zu 60 Prozent beteiligt ist, ohne drastische Korrekturen im nächsten Geschäftsjahr ebenfalls deutlich mehr als 1,5 Milliarden Mark erreichen. Geitner will Investitionspläne strecken und rund 500 Arbeitsplätze einsparen. [mehr]



    TV-Computer: Vom Sofa aus in die globale Datenwelt

    Aus: Der Spiegel – 51/1998, 14. Dezember 1998, Seite 76–77 (Inset zum SPIEGEL-Titel "
    Kommunikation total) mit 3 Fotos.

    Konvergenz lautet das Zauberwort der elektronischen Medien: TV und Internet wachsen zusammen, das Pantoffelkino wird interaktiv, durch das Datennetz fließen Töne und Bilder. Strittig ist, welches Vehikel das Multimediaprogramm nach Hause liefern wird: der PC, der Fernseher oder ein neues Mischgerät? Einen PC fernsehtauglich zu machen ist nicht schwer. Eine TV-Tuner- Steckkarte empfängt das Signal der Sender und bringt die Bilder auf den Monitor. Doch am Schreibtisch machen Fußball- und Hollywoodfilme nicht so richtig Spaß.

    Der Datenwelt einen Weg ins Wohnzimmer zu bahnen ist auf verschiedenen Wegen möglich. TV-Hersteller Loewe etwa bietet zum Anschluß an den Fernseher das "Xelos @Media Active"-Modul an, einen im Designgehäuse verborgenen PC. Die TV-Fernbedienung hat Maustasten zum Herumklicken im Internet eingebaut, für Texteingaben gibt es eine drahtlose Tastatur. Mit 3600 Mark ist der Loewe-PC jedoch maßlos überteuert. Er funktioniert zudem nur in Verbindung mit den hauseigenen "@Media"- Fernsehern, die Kombination kostet weit über 6000 Mark.

    Wesentlich günstiger sind kleine TV-Zusatzgeräte, die nur für den Internet- Zugang konstruiert wurden. Zwischen 600 und 1200 Mark kosten "Internet- Boxen" von Conrad-Elektronik, Grundig, Daewoo oder Schneider. Sie benötigen einen Telefonanschluß und speisen das Bildsignal in die Scart- Buchse des Fernsehers ein. Die Fähigkeiten dieser Geräte sind auf das Wesentliche beschränkt; so besteht die Gefahr, daß sie einige exotisch programmierte Internet-Seiten nicht darstellen können. Dafür entfällt die komplizierte Konfigurationsarbeit, die einen echten PC erfordert. Die Grundig- Internet-Box hat einen Chipkartenleser eingebaut. Auf solchen Karten sind alle Zugangscodes gespeichert; der Weg ins Datennetz ist ohne weitere Einstellungen frei, verspricht der Hersteller.

    In den USA versuchen sich verschiedene Anbieter an einem eigens auf den Fernseher zugeschnittenen Internet-Service mit zugehöriger "Set Top Box", die den Anschluß an das TV-Gerät herstellt. Prominentester Vertreter ist "WebTV", eine kleine kalifornische Firma, die inzwischen zum Microsoft-Imperium gehört. Auch Sony und Philips bauen WebTV-Geräte in Lizenz. WebTV-Boxen gibt es bereits ab 100 Dollar, weil die Hardware, ähnlich wie beim Mobilfunk, durch die Abogebühren des Internet-Service subventioniert werden. Wer einen anderen Internet-Provider bevorzugt, muß zusätzlich eine monatliche Gebühr an WebTV zahlen. Heftige Kritik hagelte es, als bekannt wurde, daß die Firma das Nutzungsverhalten ihrer Kunden protokolliert und die Daten an Marketingfirmen verkauft.

    WebTV versucht, Fernsehen und Internet auch inhaltlich miteinander zu verknüpfen. Die Box kann TV-Programm und Internet-Seiten gleichzeitig darstellen und so Zusatzinformationen zur laufenden Sendung oder interaktive Programmführer auf den Schirm bringen. In Deutschland testet die Telekom in Kooperation mit Microsoft und T-Online das System seit ein paar Monaten in 50 Haushalten. Nächstes Jahr sollen 300 repräsentativ ausgewählte Freiwillige verkabelt werden, auch das ZDF mischt als Programmanbieter mit.

    Über die Zukunft wird jedoch frühestens Mitte nächsten Jahres entschieden, denn noch ist nicht klar, wie das System zum Digitalfernsehen paßt. Eigentlich sollte ja die "d-Box" ein Universaldecoder mit Internet- Funktionalität werden, doch angesichts des mühsamen Starts des Digitalsenders DF 1 sind solche Pläne wohl nicht mehr aktuell. Vielleicht sind Internet-Boxen in einigen Jahren ohnehin überflüssig. So stellte die US-Firma Motorola kürzlich den Prototyp von "Blackbird" vor. Der DVD-Player verfügt dank neu entwickelter Chips über eine so leistungsfähige Elektronik, daß er neben der Videowiedergabe Zusatzfunktionen wie Computerspiele und Internet-Surfen nebenher erledigen kann.



    Kommunikation total: Der siebte Kontinent

    Die Handy-Gesellschaft war erst der Anfang: Experten sehen in den Sphären des Internet einen neuen Erdteil entstehen. Hier lebt die Info-Elite, umgeben von PC, Pager, Powerbook. Die Multimedia-Industrie wird zur Schlüsselbranche des 21. Jahrhunderts – mit gravierenden Folgen für die Gesellschaft.

    Hinweis auf:
    Der Spiegel – 51/1998, 14. Dezember 1998, Seite 64–83 (Titel) von RAFAELA VON BREDOW und KLAUS-PETER KERBUSK. [Vollständiger Artikel] [TV-Computer]



    Verluste: Otelos Kampf gegen rote Zahlen

    Aus:
    Spiegel Online – 18. Dezember 1998 (nur elektronisch publiziert).

    DÜSSELDORF. Der Düsseldorfer Telekommunikationskonzern Otelo will mit einer selbstverordneten Schlankheitskur aus den tiefroten Zahlen kommen. Otelo-Sprecher Christian Hoppe kündigte am Freitag in Düsseldorf an, das Unternehmen werde im kommenden Jahr nicht wie ursprünglich geplant neue Stellen schaffen, sondern im Gegenteil die Zahl der rund 3000 Beschäftigen verringern. Allerdings werde dies ohne betriebsbedingte Kündigungen durch die Ausnutzung der natürlichen Fluktuation geschehen. Die Otelo-Gesellschafter Veba und RWE wiesen unterdessen Gerüchte über einen möglichen Verkauf des Verlustbringers entschieden zurück.

    Die Otelo-Gruppe – bestehend aus dem Festnetz-Anbieter selbst und dem Mobilfunkunternehmen E-Plus - wird Hoppe zufolge im laufenden Jahr einen Verlust in der Größenordnung von rund 2,2 Milliarden Mark machen. Genaue Angaben über die Erwartungen für 1999 lehnte Hoppe ab. Doch betonte er, die Anlaufverluste würden planmäßig deutlich reduziert. Der Break-Even soll nach wie vor im Jahr 2001 erreicht werden. Hoppe sagte, im Festnetz werde der Umsatz im kommenden Jahr voraussichtlich von 450 Millionen auf 1,1 Milliarden Mark steigen. Otelo sei inzwischen bei Preselection mit 270.000 Kunden Markführer und liege beim Gesprächsaufkommen mit elf Millionen Minuten am Tag unter den privaten Anbietern auf Platz drei hinter Mobilcom und Mannesmann Arcor.

    Meldungen, daß die Gesellschafter Veba und RWE, den Geschäftsplan von Otelo-Chef Thomas Geitner nur noch für sechs Monate genehmigt hätten, wollte Hoppe nicht kommentieren. Der erst seit wenigen Monaten amtierende neue Otelo-Chef hatte erst kürzlich erklärt, das Düsseldorfer Telekommunikationsunternehmen befinde sich nach Überwindung der Startschwierigkeiten nun auf der Überholspur.

    Doch hinkt der Düsseldorfer Anbieter bei der neuen Preisrunde, bei der viele Konkurrenten wie die Deutsche Telekom oder Mannesmann Arcor bereits ab dem 1.Januar ihre Preise drastisch senken, erneut hinterher. Erst mit einem Monat Verspätung will Otelo im Februar seinen Kunden ebenfalls billigere Gespräche anbieten. Hoppe verteidigte diese Entscheidung, mit der Notwendigkeit zunächst bestehende Kapazitätsengpässe am Verbindungsnetz zur Telekom zu beseitigen. "Wir wollen Verläßlichkeit und nicht, daß unsere Kunden Besetztzeichen hören", sagte er. Der Sprecher zeigte sich überzeugt, daß dieses Vorgehen nicht zu Einbußen beim Marktanteil führen werde. Der Preis sei längst nicht mehr das alleinige Kriterium der Kunden bei der Wahl ihrer Telefongesellschaft.

    Gerüchte, die Otelo-Gesellschafter RWE und Veba dächten wegen der hohen Verluste an einen Verkauf ihrer Telekommunikationstochter, wies Veba-Sprecher Kay Baden als "blanken Unsinn" zurück. Auch RWE-Sprecherin Barbara Eckrich erklärte: "Da ist nichts dran."



    Konkurrenz: Harte Zeiten für die Telekom

    Ein Jahr nach Öffnung des deutschen Telefonmarktes hat der ehemalige Monopolist erhebliche Marktanteile an die neuen Mitbewerber verloren. Gewonnen haben vor allem die Verbraucher.

    Aus:
    Spiegel Online – 18. Dezember 1998 (nur elektronisch publiziert).

    BONN. Bis zu einem Drittel aller täglichen Gesprächsminuten für Fernverbindungen, Telefonate in die Mobilfunknetze und zu speziellen Service- diensten entfällt bereits jetzt auf die Netze der neuen Anbieter, das geht aus dem am Freitag vorgelegten Jahresbericht der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hervor. Insgesamt hätten die Telekom- Konkurrenten 1998 ein Volumen von mehr als elf Milliarden Minuten abgewickelt und damit einen Umsatz von gut 2,5 Milliarden Mark erzielt.

    Die Verbraucher haben von dem Konkurrenzkampf mit erheblichen Tarifsenkungen profitiert. Nach Angaben des Regulierers sind Ferngespräche in der Hauptzeit an Werktagen um bis zu 70 Prozent billiger als noch vor zwölf Monaten. Inzwischen seien 51 Unternehmen mit Sprachtelefondiensten auf dem seit Januar 1998 vollständig geöffneten Markt. [mehr]



    TV-Kabel: Mittelständler als Telekom-Partner?

    Aus: Der Spiegel – 52/1998, 21. Dezember 1998, Seite 82 (Medien).

    Joachim Kröske, Finanzvorstand der Deutschen Telekom, will das defizitäre TV-Kabelnetz des Konzerns zum Höchstpreis versteigern – und dadurch schnell Milliarden-Einnahmen verbuchen. Interesse am Kabel hat das US-Unternehmen Media One bekundet, das zum Telefonriesen US WEST gehört [Ed: was inzwischen nicht mehr stimmt, denn die vollständige Trennung von US West und der MediaOne Group wurde bereits im Juni 1998 vollzogen]. Mit US WEST verhandelt die Telekom auch generell über eine Partnerschaft. Ein möglicher Käufer der Fernseh- Kabel ist aber auch die Deutsche Bank. Sie hat den Wettbewerbsbehörden angekündigt, daß sie Investoren suchen und Telefondienste über diese Kabelnetze ermöglichen will.

    Um das zu verhindern, hat Telekom-Vorstand Gerd Tenzer einen neuen potentiellen Partner ausgemacht: die meist mittelständischen Kabelnetzbetreiber, die insgesamt elf Millionen Haushalte mit Programmen versorgen. Sie sollen als Mehrheitsbetreiber regionale Kabelnetze übernehmen, die Telekom bliebe als Juniorpartner. Dabei sollen Internet- Dienste, aber keine Telefonangebote vermarktet werden. Die Kooperation solle in Pilotprojekten getestet werden, so der Fachverband FRK. Insgesamt könne die Telekom so knapp zehn Milliarden Mark einnehmen, schrieb Verbandsgeschäftsführer Heinz-Peter Labonte vergangene Woche dem Vorstand des T-Konzerns. Würden sie nicht beteiligt, fürchten die Mittelständler "monopolartige Abhängigkeiten".



    Kaum noch Luft

    Der harte Wettbewerb im Telefonmarkt sorgt für rapide sinkende Preise. Viele Anbieter geraten in Bedrängnis.

    Aus: Der Spiegel – 53/1998, 28. Dezember 1998, Seite 68 (Wirtschaft).

    Nur nichts anmerken lassen: Freudestrahlend verkünden viele Herausforderer der Telekom in diesen Tagen massive Preissenkungen, die sie teuer zu stehen kommen. "Der Wettbewerb", jubelte etwa Otelo-Chef Thomas Geitner Mitte Dezember in Düsseldorf, komme jetzt "erst richtig in Schwung". Die frohe Botschaft an seine Kunden: Gerade einmal 20 Pfennig soll die Gesprächsminute innerhalb Deutschlands demnächst bei der Düsseldorfer Telefongesellschaft kosten. Ab 18 Uhr, in der sogenannten Nebenzeit, wird sogar nur noch ein Groschen fällig. Bereits drei Tage zuvor hatte Mannesmann-Arcor-Chef Harald Stöber seinen Kunden in Frankfurt Minutenpreise von 18 Pfennig angekündigt. Viag-Interkom- Geschäftsführer Maximilian Ardelt folgte nur eine Woche später mit einem Angebot von 17 Pfennig.

    Am Ende des Jahres, das den Deutschen die Freigabe des Telekommunikations- marktes bescherte, steckt die Branche in einem erbarmungslosen Preiskampf. Die Tarife sind weit schneller und stärker gefallen – für Ferngespräche um mehr als 70 Prozent –, als die meisten Experten prophezeiten. Fast täglich unterbieten sich derzeit Wettbewerber der Deutschen Telekom wie Mannesmann Arcor, Otelo, Talkline, Teldafax oder NetCologne mit neuen Discountpreisen. Offerten wie das 19-Pfennig- Angebot von Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid, vor wenigen Monaten noch als Sensation gefeiert, gehören heute schon in die gehobene Preiskategorie. Wer sich im Tarifdschungel zurechtfindet, kann am Wochenende sogar für weniger als 8 Pfennig pro Minute telefonieren. Auch Schmid will deshalb im Januar mit einem neuen Angebot nachziehen. Eine Möglichkeit, die zur Zeit diskutiert wird: Ab einer bestimmten Anzahl von Gesprächen gibt es ein Telefonat frei.

    Einen solchen Preisrutsch innerhalb eines Jahres hat es in Deutschland wohl noch nie gegeben. Die Kunden sind schon jetzt die großen Gewinner der Telefonliberalisierung, doch viele Anbieter könnten schon bald in Bedrängnis geraten. Es war ausgerechnet der ehemalige Monopolist, die Deutsche Telekom, der die jüngste Preisrunde einleitete. Allzulange hatte er dem Treiben der neuen Wettbewerber tatenlos zugesehen – und dabei rund 30 Prozent des Marktes für Ferngespräche verloren. "Mehr als wir in mehreren Jahren hätten verlieren dürfen", konstatierte Telekom- Chef Ron Sommer vor wenigen Wochen und entschloß sich zu handeln.

    Gegen heftigen Widerstand im eigenen Vorstand setzte er schließlich eine riskante, aber trickreiche Tarifsenkung durch. Um mehr als 60 Prozent wird die Telekom ihre Preise in einigen Bereichen von Januar an senken. Lediglich 24 Pfennig wird die Ferngesprächsminute in der Hauptzeit dann noch kosten. Gerade einmal 12 Pfennig soll der Gebührenzähler pro Minute in der Nebenzeit (ab 18 Uhr) anzeigen – vorausgesetzt, der Kunde verfügt über einen digitalen ISDN-Anschluß.

    Die Besitzer herkömmlicher Analogtelefone bezahlen dagegen in der Hauptzeit vorerst einen Minutenpreis von 36 Pfennig. Und genau da liegt der Haken für die Konkurrenz. Zwischen ISDN- und Analoggesprächen können sie nicht unterscheiden. Und während Sommer seinen Kampfpreis letztlich nur 5 Millionen seiner über 51 Millionen Kunden anbietet, waren die Wettbewerber gezwungen, die Gebühren für alle Gespräche deutlich unter 24 Pfennig zu senken. Ein schmerzhafter Schritt. Zwar muß auch Sommer im nächsten Jahr mit Einbußen in mehrstelliger Millionenhöhe rechnen, möglicherweise werden auch weitere Kunden verprellt. Doch die Konkurrenz trifft es härter. Die dünnen Margen schmelzen noch einmal zusammen. Viele Geschäftspläne wurden in den vergangenen Tagen hektisch überarbeitet und gestreckt. Nach unten, konstatiert Viag-Interkom-Chef Maximilian Ardelt erschreckt, ist jetzt "kaum noch Luft".

    Mit kleinen Tricks versuchen die Telekom-Wettbewerber, ihre Einbußen in halbwegs überschaubaren Grenzen zu halten.So verlängerten Arcor, Otelo und Viag Interkom still und heimlich den Abrechnungstakt bei den beliebten Call-by-call-Angeboten auf eine Minute. Damit können Kurzgespräche für die Kunden teurer werden, im Schnitt, so haben Experten ausgerechnet, um 17 Prozent. Zusätzlich setzt Thomas Geitner bei der Düsseldorfer RWE/Veba- Telefontochter Otelo auf Zeitgewinn. Tagelang hatte der Otelo- Chef verzweifelt versucht, die Tarifsenkung der Telekom politisch zu Fall zu bringen. Als das nichts half, beschloß er, seinen Kunden niedrigere Preise erst im Februar statt im Januar anzubieten. Der Kölner City-Betreiber NetCologne erhöhte sogar den Grundpreis für Telefonanschlüsse von bisher 24 auf 29 Mark.

    Die nächste Bewährungsprobe steht den Telekom-Konkurrenten bereits bevor. Nach monatelangen Diskussionen hat die Bonner Regulierungsbehörde vor knapp zwei Wochen entschieden, daß die Telekom von Wettbewerbern, die wenig Infrastruktur besitzen und das Netz des Telefonmultis dadurch überdurchschnittlich belasten, prinzipiell höhere Netzzusammenschaltungspreise ("Interconnection") verlangen kann als die bisher gültigen 2,7 Pfennig pro Minute. Für die junge Branche, glaubt Lutz Meyer-Scheel, wäre das ein Fiasko. "Schon die rabiate Preissenkung der Telekom", klagt der Chef der Frankfurter Telefongesellschaft RSL Com, habe allen weh getan. Sollte "uns jetzt durch die Erhöhung der Interconnection- Gebühren auch noch die Möglichkeit genommen werden, die Kosten weiter zu senken, dann ist es aus".




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      Zum Teil 11

    © 1998-2002 – Dipl.-Ing. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 20.12.2009 12.34 Uhr