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Telefon Treue Kunden
Aus: Der Spiegel 26/1999, 28. Juni 1999, Seite 72 (Trends).Gut ein Jahr nach der Freigabe des Telefonmarkts stehen die meisten Bundesbürger den neuen Anbietern immer noch skeptisch gegenüber. Für fast zwei Drittel aller Deutschen kommt ein Wechsel der Telefongesellschaft nicht in Frage. Besonders ausgeprägt ist die Treue zur Telekom bei den Älteren, 77 % der über 50jährigen lehnen einen Wechsel ab. Das ist eines der Ergebnisse der zweiten SPIEGEL-Studie "Online-Offline", bei der mehr als 10.000 Personen im Alter von 14 bis 64 Jahren befragt wurden.
Der Studie zufolge hat sich bislang gerade mal 1 % der Befragten vom Bonner Ex-Monopolisten getrennt. Auch andere neue Möglichkeiten beim Telefonieren werden erst zaghaft genutzt. Zwar haben 64 % schon von Call-by-call gehört, doch erst 26 % haben die Netzkennzahl eines privaten Anbieters gewählt, um dadurch ihre Telefonkosten zu senken. Üppige Summen dürften da ohnehin nicht zusammenkommen, denn die durchschnittliche Telefonrechnung der Bundesbürger beläuft sich auf 103 Mark.
Telefongespräche können heute über das Netz verschiedener Gesellschaft geführt werden. Welches der drei Verfahren zur Netzwahl haben Sie schon genutzt? Stand: Februar 1999
Quelle: Der Spiegel 26/1999, 28.6.1999, Seite 72.Verfahren zur Netzwahl Anteil Call-by-call 26 % Pre-selection 3 % Kompletter Wechsel [Vollanschluß] 1 % Keines 70 % Angaben in Prozent. Umfrage des SPIEGEL-Verlags von Oktober 1998 bis Februar 1999. 10025 Befragte. Ausgeprägter ist dagegen der Wunsch, per Handy zu telefonieren und überall erreichbar zu sein. In den kommenden zwei Jahren, so das Ergebnis der Studie, steigt die Zahl der Handy-Nutzer in Deutschland auf etwa 21 Millionen. Die besten Aussichten dürften dabei die Mobilfunkbetreiber Mannesmann (D2) und E-Plus haben, deren Bekanntheitsgrad deutlich über dem des Telekom-Netzes T-D1 liegt.
Alte Schätzchen
Volkswagen hat sich durchgesetzt: Der Kanzler verhinderte, daß die Hersteller, wie von Brüssel geplant, Altfahrzeuge zurücknehmen müssen.
Aus: Der Spiegel 26/1999, 28. Juni 1999, Seite 36 (Deutschland).[Ed: Die Dokumentation erfolgt hier weniger wegen der Öko- Problematik von Altautos, sondern um aufzuzeigen, wie heute die Lobby- Politik der Industrie tatsächlich funktioniert. Der Bundeskanzler stand stramm als Piëch sich protestierend per Handy meldete. Aber der Kanzler aller Autos setzte damit (wieder) nicht auf die wahre Schlüssel-Technologie, denn diese ist schon längst nicht mehr bei den Autos zu finden.]
Selbst in wichtigen Sitzungen ließ Ferdinand Piëch am vergangenen Donnerstag, ganz gegen seine Gewohnheit, das Handy eingeschaltet: Der VW-Chef wartete auf einen Anruf aus Brüssel. So erreichte ihn die erlösende Nachricht auf direktem Weg. Ausgerechnet der Grüne Jürgen Trittin hatte auf Weisung des Kanzlers Piëchs Wünsche durchgesetzt und beim Umweltministerrat in Luxemburg eine Öko- Blockadefront organisiert.
Mit Unterstützung von Briten und Spaniern verhinderte der Chef des Bonner Umweltressorts die seit langem geplante Verabschiedung der europäischen Altautorichtlinie. Die schreibt den Fahrzeugherstellern von 2003 an die Rücknahme ihrer Wagen und umweltschonendes Recycling vor. Empört verfolgte ganz Europa den Bremsweg der Deutschen. "Noch nie zuvor", zürnte Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard, habe sie "so etwas erlebt".
Es war VW-Chef Ferdinand Piëch, der Gerhard Schröder, seinen langjährigen Vertrauten aus Niedersachsen, lenkte. Bestens versorgt mit Horrorzahlen, fürchtete der Kanzler "erhebliche Folgen" für die Gewinne der heimischen Autoproduzenten. 83,5 Millionen Fahrzeuge deutscher Hersteller bevölkern derzeit Europas Straßen, klagten die Konzerne von Wolfsburg bis München. Auf ihre Kosten müsse die Schrottlawine recycelt werden, wenn die Brüsseler Richtlinie komme.
Der Kanzler hatte verstanden: Durch die Rücknahme der "alten Schätzchen" drohe branchenweit ein "Rückstellungsbedarf von 15 bis 20 Milliarden Mark", das sei eine "blanke Katastrophe" für die Konzernbilanzen, mahnte Schröder.
Allein VW, so die Konzernrechnung, müßte drei Jahresgewinne vor Steuern für die Schrottbeseitigung zurückstellen und zwar gemessen "am besten Jahresgewinn, den wir je hatten". Schon im März mußte Trittin deshalb die Verabschiedung der Richtlinie von der Tagesordnung streichen lassen. Ein Brandbrief Piëchs hatte den Kanzler alarmiert.
Vor zwei Wochen jedoch informierte der grüne Umweltminister seine Euro-Kollegen: Bonn habe nicht vor, die Entscheidung erneut zu vertagen oder den Richtlinientext zu ändern. "Diese Uneinsichtigkeit", so Piëch- Vertraute, habe den Konzernchef in Rage gebracht. "Keinerlei Kompromißbereitschaft" habe Trittin gezeigt. Empört ließ sich der VW-Lenker zu Schröder durchstellen. Vorvergangene Woche wäre der Umweltminister beinahe gefallen. "Entweder der nimmt das zurück, oder er fliegt", tobte Schröder. Trittin beugte sich.
Sicherheitshalber nutzte Piëch weitere Kanäle. In der Volkswagen- Zentrale herrschte Kampfstimmung. "Wir sind dabei, andere Länder rauszubrechen", beschrieb ein Mitarbeiter das Vorgehen. So gerieten Spanien und Portugal, wo der Konzern Zweigwerke betreibt, ins Visier der VW-Strategen.
Aber mit Spaniern und Portugiesen allein, das wußten die Volkswagen- Strategen, würden die Deutschen wenig erreichen. Die drei Nationen verfügen bei EU-Abstimmungen über 23 Stimmen, für eine Sperrminorität sind 26 nötig. Fest stand: Ohne eines der wichtigen Autoländer Großbritannien, Italien oder Frankreich jedes hat, wie die Deutschen, zehn Stimmen wäre keine Blockade möglich.
Daß die Kampflust der deutschen Autobauer so plötzlich erwachte, ist erstaunlich. Bereits im Juli 1997 verabschiedete die Kommission ihren Richtlinien- Vorschlag. Seither ist klar, daß die Hersteller alle Altautos ihres Fabrikats zurücknehmen, zumindest aber die Kosten für die Entsorgung tragen sollen. Dabei ist Fahrzeugrecycling kein reines Minusgeschäft. Knapp 50 Prozent aller Altauto- Annahmestellen in Deutschland, so ergab eine Branchenumfrage, nehmen die alten Schätzchen kostenlos ab. Doch die Fahrzeugindustrie kalkuliert anders: Knapp 350 Mark kostet danach die Entsorgung eines Autos entsprechend teurer würden Neufahrzeuge werden.
Selbstverständlich protestierten auch Fiat, Peugeot und Renault, Rover und Vauxhall gegen die Richtlinie aber weniger lautstark als die Deutschen. Sie hofften wohl, daß die größte Automobilnation Europas auch ihre Interessen durchsetzt. Tatsächlich sondierte der mächtige Ausschuß der Ständigen Vertreter bei einem "Arbeitsessen" am 16. Juni in Brüssel, wie die Regelung doch noch zu kippen sei.
Die Franzosen, so kabelten Bonns Emissäre hernach in die Heimat, versprächen Unterstützung falls die Deutschen behilflich wären, bei der anstehenden Liberalisierung der staatlichen Eisenbahnen Sand ins Brüsseler Getriebe zu streuen.
Großbritannien, Heimat der Auktionshäuser Christie's und Sotheby's, versprach ebenfalls Nachbarschaftshilfe wenn auch Bonn bereit sei, für den Kunsthandel lästiges EU-Recht abzuwehren. Sogar Belgien war Allianzen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Einzige Bedingung: Bonn müsse helfen, eine Entscheidung über die "politisch sensible Schokoladen- Richtlinie" zu vertagen.
Wir rennen Marathon
Steve Case machte America Online zum mächtigsten Internet-Dienst der Welt, aber er will mehr: AOL soll zum globalen Medium werden, unentbehrlich wie Telefon und Fernsehen.
Aus: Der Spiegel 26/1999, 28. Juni 1999, Seite 9499 (Medien). Die Zwischentitel wurden in dieser Doku zugefügt].Der Morgen ist schwül, die Termine drängen, und die Aktienkurse sind mal wieder ein Stück abwärts gerutscht. Doch Steve Case sitzt hinter seinem Schreibtisch und blättert seelenruhig in seinen Akten. "So etwas passiert nun mal von Zeit zu Zeit", sagt der Chef von America Online, dem größten Internet-Dienst der Welt, "das ist sogar gesund."
"The Wall" nennen ihn seine Leute, weil alle Unbill an ihm abzuprallen scheint. Weil er stets die Ruhe bewahrt, weiterredet mit seiner monotonen Stimme, fast wie ein Sprachcomputer im Disneyland. Eigentlich kann er sich überhaupt nicht aufregen. Selbst seine engsten Mitarbeiter haben ihn noch nie wütend, schreiend oder gar in Tränen aufgelöst gesehen.
Auch an diesem Morgen scheint für den mächtigsten Mann des Internet alles in Ordnung zu sein. Er trägt wie immer sein blaues Jeanshemd, die Khakis von Gap und das freundliche Lächeln eines Eisverkäufers. Dabei ist draußen im Land die Hölle los, zumindest bei all jenen, die ihr Geld in die Aktien seiner Firma gesteckt haben.
Ein paar Monate lang sackten die Kurse ab, vor zwei Wochen waren die Papiere erstmals 45 Prozent weniger wert als zum Rekordstand im April. Seitdem ging es zwar langsam wieder aufwärts, dennoch sind die Zocker verbittert: "Ich bin sehr, sehr krank", schrieb einer auf das Message-Board, das Schwarze Brett für Internet-Spekulanten. Und ein anderer flehte: "Bitte, lieber Gott, laß die Kurse bald wieder steigen."
Natürlich hat Case, 40 Jahre alt, die Notizen nicht gelesen, obwohl er gleich zwei Computerschirme um sich herum stehen hat. Leise sirren die Geräte vor sich hin, nur ab und zu schnarrt eine Stimme: "You've got Mail!" Hier oben, fünf Stockwerke über den grünen Feldern von Virginia, ist von dem kreativen Chaos der Mausklick- Ökonomie nicht viel zu spüren. Hier herrscht erhabenes Schweigen.
Die Tageszocker interessieren ihn nicht, das Geschnatter aus dem Wall-Street-Casino läßt in kühl, obwohl sich die Spekulanten auf den Finanz-Seiten von America Online (AOL) täglich zu Tausenden austauschen. "Wir rennen hier keinen Sprint, sondern Marathon", sagt er, "und der hat gerade erst angefangen."
Dabei müßte der Mann eigentlich am lautesten von allen fluchen. Mit einemmal sind die Bedenkenträger wieder da, die Spötter, die Case ein halbes Leben lang begleitet haben. Neue Konkurrenz in den USA und schleppendes Wachstum in Europa lassen den Glanz der erfolgreichsten Online- Firma der Welt plötzlich matter erscheinen.
In Deutschland und England wählen Neulinge lieber den Telekom-Service T-Online oder Gratis- Provider wie FreeServe, die den Internet-Zugang zum Nulltarif bieten. In die Ferne gerückt ist das Ziel der AOL-Leute, auch hier wie in den USA die Nummer eins unter den Internet- Providern zu werden. Das sind jene Dienste, die ihren Kunden den Eintritt ins weltweite Internet ermöglichen und ihnen dort eine Vielzahl von Service- und Unterhaltungsangeboten offerieren, Online-Banking und -Shopping natürlich, die elektronische Reisebuchung ebenso wie Chatrooms und E-Mail.
Branchenexperten hatten für die vergangenen drei Monate mit bis zu 300.000 neuen europäischen Abonnenten für den AOL-Konzern gerechnet. Doch statt dessen werden es kaum mehr als 100.000 sein. Das reicht, um in manchen Wall-Street- Häusern das Signal umzustellen: Jetzt lieber Kasse machen.
Gates gegen Case
In den USA bilden sich gefährliche Allianzen um das AOL-Imperium herum. Michael Armstrong, der ehrgeizige Chef des amerikanischen Telefongiganten AT&T, hat es auf das Online-Geschäft per TV-Kabel abgesehen, und auch die Bosse der Kabel-TV-Firmen wollen mitmischen.Mit ihren Netzen, an denen zwei Drittel der US-Haushalte hängen, wollen sie das Internet revolutionieren, das Datensurfen hundertmal schneller machen als bisher. Von dem flinken Case halten sie sich fern, lieber tun sie sich mit Armstrong zusammen oder mit Paul Allen, dem milliardenschweren Mitbegründer von Microsoft, der ebenfalls ins Kabel-Online- Geschäft drängt.
Und da ist Bill Gates, der Software-Zar. Unermüdlich treibt der reichste Mann der Welt seine Abgesandten durch Asien, Europa und die USA, um sein Windows-System auf jedem nur denkbaren Multimediagerät unterzubringen: Handys, Kabel-TV-Boxen, Organizern. Nichts ist gefährlicher, als sich mit dem Microsoft-Imperium anzulegen. Und doch wird immer deutlicher, wie der Titanenkampf des nächsten Jahrzehnts aussehen wird: Gates gegen Case.
Case kennt das Gerede. Natürlich macht es auch ihn nervös, wenn sich die Konkurrenten regen. Dann wird er noch stiller als sonst, kehrt sich noch mehr nach innen. Nur die Fragen an seine Manager kommen einen Ton schärfer: "Eine Fahrt mit ihm im Fahrstuhl", sagt einer von ihnen, "kann dann wie eine Fahrt mit einem Maschinengewehr sein."
Nur hat Case in den vergangenen 14 Jahren schon viele Gegner kommen und gehen sehen. Was hatten ihm die selbsternannten Experten der Online-Welt nicht alles prophezeit: Seine Firma sei zu klein, unkten sie vor gar nicht langer Zeit, um es mit den damaligen Marktführern Compuserve und Prodigy aufzunehmen. Sein Angebot sei zu simpel, Online- Fans würden sich einer AOL-Adresse nur schämen.
Und am Ende würde ihn doch noch Bill Gates platt machen, ihn, Steve Case, das "Milchgesicht aus Washington", wie ihn Konkurrenten zuweilen nannten. Schon vor ein paar Jahren hatte Gates dem Neuling bei einem Meeting gedroht: "Ich kann 20 Prozent von dir kaufen, ich kann dich ganz kaufen", und dann hatte er sich in seinem Schaukelstuhl vorgebeugt und die Augenbrauen zusammengezogen: "Oder ich kann selbst in das Geschäft einsteigen und dich einfach platt machen."
Doch niemand hat das Milchgesicht bis heute platt gemacht. Aus einem abseitigen Online-Spiel- Service für Teenager schuf Case in 14 Jahren ein gigantisches Kraftwerk für die Mausklick- Ökonomie. Die Manager der Traditionskonzerne sahen zu: erst mit Spott, dann mit Argwohn und schließlich mit zunehmender Angst.
Online-Ökonomie
AOL ist heute eine virtuelle Metropole, zweieinhalbmal so groß wie New York, schneller wachsend als Kalkutta. Über 17 Millionen Menschen haben sich hier eingerichtet, täglich drängen bis zu 20.000 neue dazu, vor allem aus Amerika.Wie in einer echten Stadt gibt es Bibliotheken, Museen, Banken, Einkaufszentren, Reisebüros und bald auch Kinos und Konzerte, nur daß sich die riesige Gemeinde bequem vom Schreibtisch aus erkunden läßt. Eine eigene Polizei sorgt für Ordnung, eine eigene Verwaltung für die Stadtentwicklung. Demokratisch geht es allerdings nicht zu: Wer nicht einverstanden ist, geht besser.
Schließlich ist diese Metropole keine gemeinnützige Veranstaltung. Sie muß Gewinn machen, und zwar reichlich. So will es die Wall Street, so wollen es die Investoren, so wollen es die Mitarbeiter, die fast alle Aktionäre sind.
Deshalb ist die AOL-Verwaltung längst keine Ansammlung von ausgeflippten Webdesignern mehr, sondern eine gigantische Marketingmaschine mit derzeit vier Milliarden Dollar Umsatz. Deren Ingenieure haben vor allem drei Aufgaben: neue Bewohner in die Stadt locken, sie mit Werbetafeln umstellen und dann zum Geldausgeben animieren. Und zwar so, daß sie sich dabei auch noch wohl fühlen.
Das klappte bisher schon ganz gut. Die AOL-Ingenieure haben eine riesige Online-Ökonomie in Gang gebracht, die schneller wächst als jede andere Volkswirtschaft diesseits vom PC-Monitor. Rund 18 Millionen Dollar geben die Bewohner von AOL-City derzeit am Tag in ihrer Schönen Neuen Welt aus, bis zu 50 Prozent mehr pro Vierteljahr.
Schon heute ist AOL die größte Einkaufsmeile des Landes, die größte Kino- Ticketagentur und nebenbei das größte Postamt der Welt: 130 Millionen E-Mails schwirren täglich durch das AOL-Netz, samt Fotos, Dateien und Webseiten macht das 30 Billionen Byte was etwa 15 Milliarden Schreibmaschinenseiten entspricht.
Natürlich weiß Case, daß seine Online-Stadt nicht so aufregend ist wie New York und nicht so elegant wie Paris. Für viele Internet- Freaks ist eine Adresse in AOL-City noch immer schlimmer als ein Haus in den Suburbs von New Jersey.
Doch Case hat gelernt, daß es nicht auf die Nerds, die Computerverrückten, ankommt, sondern auf seine Nachbarn: Angestellte, Eltern, Großmütter. Für die ist ein Fußmarsch von 500 Metern schon eine Zumutung, sie nehmen lieber das Auto. Auch im Internet wollen sie nicht lange herumirren. Ein Ausflug durch die Online-Welt soll so komfortabel sein, als wanderten sie durch Disneyland.
Deshalb sieht es im Online-Reich von AOL so aus wie in einer blitzsauberen Vorstadt, mit Wegweisern an jeder Ecke, fein abgegrenzten Vorgärten und einem Postboten, der immer pünktlich kommt. Statt dem Wirrwarr des World Wide Web, wo es etwa so zugeht wie in der Innenstadt von Schanghai, bietet Case seinen Abonnenten das Erlebnis eines Spaziergangs durch Hamburg-Eppendorf.
Die Welt verändern
Vielleicht geht es deshalb im Hauptquartier von AOL am Rande der US-Hauptstadt Washington eher so zu wie bei einer modernen Versicherung als bei einer schrillen Online-Agentur. Unter dem Dach eines umgebauten Flugzeughangars, zwischen Preßspanwänden und Büropalmen, gibt es Abteilungen und Direktoren, Eingangskörbe und genormte Abläufe, eben all das, was Internet-Entrepreneure normalerweise glücklich ignorieren.Auch Case pflegt lieber das Image des schüchternen Vorstadt-Boys, den jede Mutter stolz auf ihren Cocktailpartys herumzeigen würde. Das Kriegsgeheul überläßt er seinen Managern, wie auch die teuren Anzüge, den Porsche und andere Extravaganzen, mit denen sich die neuen Internet- Fürsten so gern schmücken.
Angeführt wird AOLs Führungsriege von Bob Pittman, dem Gründer des Musiksenders MTV und einem der schnellsten Manager des Landes, der seine Leute anfeuert mit Sprüchen wie: "Du hast zwei Alternativen im Leben: Entweder du machst Staub, oder du bist Staub." Seine Mitarbeiter halten sich an ersteres. Sie jagen in Privatjets umher, und wenn sie irgendwo auftauchen, kann das schon mal aussehen wie eine Abordnung von Hollywood- Bossen auf dem Weg zu einem Dreh: dunkle Anzüge, dunkle Sonnenbrillen, dunkle Westernstiefel.
Wer so arbeitet, der geht nicht nur einem Job nach, den treibt eine Mission voran. AOL-Manager zeigen sowenig Zweifel wie eine Gruppe Ordenspriester auf Pilgerfahrt. "Dies ist eine Company voller Superstars", behauptet Jonathan Sacks, einer der Seniormanager der Firma. "Wir sind hier, um die Welt zu verändern."
Damit sind sie schon ein ganzes Stück vorangekommen. Krakenförmig hat sich das AOL-Imperium bisher ausgebreitet, getreu der AOL-Vision, die auf großen Tafeln in jedem Korridor des Hauptquartiers angeschraubt ist: "Ein globales Medium bauen, das für die Menschheit so unentbehrlich ist wie Telefon und Fernsehen nur viel wertvoller."
Case und seine Leute schluckten den kränkelnden Online-Service Compuserve, der vor acht Jahren fast einmal AOL aufgekauft hätte. Sie erwarben den israelischen Chat-Service ICQ, eine der hippsten Adressen im Internet, der seitdem auf weltweit 36 Millionen Mitglieder anschwoll. Sie übernahmen für 4,2 Milliarden Dollar den Internet- Pionier Netscape, ein noch vor drei Jahren undenkbarer Deal. Und sie kauften sich vergangene Woche für 1,5 Milliarden Dollar bei der Satelliten- TV-Firma Hughes Electronics ein.
Schon scherzt der Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, Freund und Partner von Case bei AOL-Europa: "Ich möchte auch nächstes Jahr noch Vorstandsvorsitzender sein und nicht Bereichsleiter von Steve Case." Wenn AOL so weiterwächst wie bisher, werden in zwei Jahren rund 27 Millionen Menschen die AOL-Metropole bevölkern, auf der Suche nach einer freundlicheren Welt: nie wieder mit dem schmierigen Autohändler verhandeln. Weg mit dem unwissenden Anlageberater. Schluß mit muffligen Verkäufern und unwürdigem Gedrängel.
AOL überall
Schon hat Case die nächste Offensive in Gang gesetzt, Codename "AOL überall". Case will das Internet in die Jackentasche bringen, aufs Handy oder den Terminplaner, er will das Auto vernetzen, die Klimaanlage und auch noch die Waschmaschine. "Erst waren wir ein Medienkonzern", prahlt Ted Leonsis, einer von Case' engsten Mitarbeitern, "dann eine Community. Und bald werden wir wie Elektrizität sein: unentbehrlich in jedem Haushalt."In Deutschland will AOL unter Führung des Bertelsmann-Abgesandten Andreas Schmidt vom Herbst an die Dienste AOL und Compuserve zum Kampfpreis von weniger als 20 Mark im Monat anbieten. Etwas später soll es AOL auch über das Kabel-TV-Netz der Telekom geben.
Die Manager wollen auch die Gratis- Provider attackieren und dafür die Marke Netscape nutzen. Geplant ist von August an ein Gratis- Dienst unter dem Namen "Netscape Online", bei dem nur Telefongebühren anfallen würden. AOL erwägt allerdings, anders als die Konkurrenten, für die Kundenbetreuung keine Servicegebühren zu erheben.
Schon im nächsten Jahr wollen die Entwickler eine AOL-TV-Box präsentieren. Aus dem Fernseher soll ein simpler Steuercomputer werden, dessen Bildschirm nach dem Einschalten zunächst aussieht wie die erste Seite eines Online-Services. Es wird Shopping-Kanäle geben und Bibliotheken für Film und Musik. Und eine Buddy-List, eine Anzeige, mit deren Hilfe jeder Zuschauer sofort auf dem Bildschirm sehen kann, welche seiner Freunde auch gerade vor der Röhre hocken und vielleicht bereit sind für einen kurzen Online-Chat per drahtloser Tastatur.
Reichlich Venture-Kapital
Dabei hatte es lange so ausgesehen, als ob aus Case einer jener Zeitgenossen wird, die zwar jede Menge Wirbel veranstalten, aber keinerlei Spuren in der Weltgeschichte hinterlassen würden. Schon mit elf Jahren, als Schüler in Honolulu auf Hawaii, hatte er seine erste Firma gegründet. Sie hieß "Case Enterprises Global Multinational Corporation" und verteilte Werbeschriften. Bis zum Ende seiner College-Zeit hatte Case so viele Firmen aufgezogen, wie andere in seinem Alter Sneakers verschlissen hatten. Nur mit dem Erfolg haperte es.Case Enterprises verschwand ebenso schnell wie spätere Ideen des jungen Entrepreneurs: ein Papiertuch zum Auftragen von Haarfestiger etwa, das er für den Kosmetikkonzern Procter & Gamble entwickelt hatte, oder eine Mini- Pizza für die Fast-food-Kette Pizza Hut.
Computer hatten Case dagegen immer gelangweilt. Kein Fach haßte er im College mehr als Programmieren, nichts stieß ihn mehr ab als das Technikgeschwafel der Nerds. Lieber beschäftigte er sich mit Politikwissenschaft, las Bücher des Futuristen Alvin Toffler oder feierte Partys.
Fasziniert war er lediglich davon, daß sich die neuen Maschinen über Gebirge und Ozeane hinweg per Telefon miteinander austauschen konnten. Im Januar 1983 geriet er schließlich an einen verschrobenen Unternehmer aus den Vororten von Washington, der von einer Baracke aus Videospiele online verkaufen wollte. Case war begeistert und heuerte an, zum Entsetzen seiner Familie.
In den folgenden Jahren bewegte er sich am Rande des Abgrunds. Case und seine Leute vernichteten Millionen an Venture-Capital und konnten doch ihre Geldgeber immer zum Nachschießen bewegen. Zum einen, weil die Finanziers hofften, so wenigstens etwas von ihrem Geld wiederzusehen. Zum anderen, weil die Case-Truppe mit immer neuen Online-Ideen kam, die irgendwie nach Revolution rochen. Panne reihte sich an Panne, doch Case kam immer wieder auf die Beine.
Im August 1995 entging Case die Chance des Lebens. Damals trafen sich der AOL-Chef und sein Manager Ted Leonsis mit zwei jungen Leuten, Jerry Young und David Filo. Die beiden hatten gerade eine Firma mit dem Namen Yahoo gegründet, die Idee klang vielversprechend.
Die AOL-Leute boten den beiden zwei Millionen Dollar für ihre Firma. Die Jungunternehmer forderten fünf. Niemand wollte nachgeben. Heute ist Yahoo der größte Online-Suchservice der Welt und rund 34 Milliarden Dollar wert, "eine nette Karriere", wie Leonsis bitter eingesteht.
Es sollte einer der letzten Flops sein. Plötzlich war die Online-Revolution losgebrochen, und der freundliche Boy aus Washington hatte es geschafft, sich in ihrem Zentrum festzusetzen.
Seit dem Börsengang 1992 schossen die AOL-Aktien um über 6000 Prozent nach oben. Heute ist AOL 120 Milliarden Dollar wert, fast soviel wie die Medienkonzerne Time Warner und Disney zusammen, die knapp zehnmal soviel Umsatz machen. Case wurde zum Milliardär, seine Manager zu Multimillionären, und selbst ganz normale Angestellte sammelten noch ein paar Millionen Dollar in ihrem Portfolio.
AOL-Jünger kaufen Landhäuser, Pferdeweiden und Seegrundstücke in Washingtons Umland auf und haben aus dem verschlafenen County eine der Boom- Regionen des Landes gemacht. Ted Leonsis gar erwarb kürzlich zusammen mit zwei Freunden für 200 Millionen Dollar ein komplettes Eishockey- Team und lobt sich nun stolz: "Ich bin der erste Angestellte, der ein eigenes Sportteam hat."
Auch das ist für Steve Case kein Problem. Wer an dieser Firma mitgebaut habe, gibt der AOL-Chef freundlich zu erkennen, der habe seine Millionen verdient.
Unkalkulierbares Chaos
Aus: Der Spiegel 27/1999, 5. Juli 1999, Seite 81 (Trends).Die heftig umstrittene Interconnection-Regelung, nach der Wettbewerber der Telekom deren Ortsnetze [Ed: es sind die gesamten Netze] zu einem durchschnittlichen Preis von 2,7 Pfennig pro Minute benutzen dürfen, wird nach derzeitiger Planung der Bonner Regulierungsbehörde um mindestens drei bis sechs Monate über den ursprünglichen Auslauftermin am 31. Dezember dieses Jahres verlängert. Grund ist die Angst der Telefongesellschaften vor dem "Jahr-2000-Problem".
Am 31. Dezember 1999 müssen Tausende Ortsvermittlungsstellen und Software- Programme bei den großen Telefonkonzernen auf das heikle Datum umgestellt werden. Eine gleichzeitige Veränderung der Tarife in der Abrechnungssoftware, so die Angst der Netzbetreiber, könnte zu einem unkalkulierbaren Chaos führen. Für die Deutsche Telekom AG, die sogar gerichtlich gegen die ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Nutzungsgebühren vorgegangen ist, bedeutet die Verschiebung trotzdem Mehreinnahmen in mehrstelliger Millionenhöhe. Eigentlich hatte die Regulierungsbehörde nämlich geplant, die Interconnection-Tarife im Januar deutlich zu senken.
auch wenn er das tapfer behauptete, dabei vergnügt in die Kameras lächelte, die Hand des Finanzministers schüttelte und mit den Kursmaklern ein Gläschen Champagner kippte. Der Telekom-Chef ließ sich seinen Verdruß am vergangenen Montag nicht anmerken.T-Aktie: Blaues Auge
Mit einer bislang einmaligen Kursattacke haben geschickte Spekulanten der Telekom den zweiten Börsengang vermiest. Jetzt ermitteln die Aufsichtsbehörden.
Aus: Der Spiegel 27/1999, 5. Juli 1999, Seite 8891 (Wirtschaft).Eigentlich war Ron Sommer alles andere als sehr zufrieden
Schließlich hatte er die Deutschen gerade zum zweitenmal mit T-Aktien beglückt. 286 Millionen frische Papiere wurden zum Preis von 39,50 Euro zugeteilt, dem Schlußkurs vom Freitag zuvor. Die Mammut-Kapitalerhöhung spülte rund 21 Milliarden Mark in die Kassen der Telekom. "Ein Traumergebnis", behauptete Sommer.
Es war eher ein Alptraum. Denn in den letzten Handelsminuten des Freitags hatten Spekulanten eine in Deutschland bislang einmalige Attacke gegen einen Dax-Wert gestartet, die das Unternehmen mehr als 1,2 Milliarden Mark kostete. Und dabei ist die Telekom noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. In dem Angriff verlor die T-Aktie nämlich letztlich nur 5,2 Prozent. Mit diesem Abschlag mußte Sommer die neuen Papiere am Montag verkaufen er hätte noch weit größer ausfallen können.
Denn im Lauf des Freitags waren immer neue, unlimitierte Verkaufsaufträge für T-Aktien bei der Börse eingegangen alle mit dem Vermerk: "Closing Auction only". Bei so einer Schlußauktion werden alle Orders gesammelt. Sekündlich stellt der Computer den "indikativen Preis" fest den Kurs, zu dem bei der aktuellen Orderlage die meisten Aktien gehandelt würden. Nach drei Minuten wird dieser Preis zum Schlußkurs die Aufträge werden abgewickelt. Jedenfalls normalerweise.
Noch um 16.59 Uhr wechselten an diesem Freitag 200 T-Aktien für 41,68 Euro den Besitzer. Um 17.00 Uhr waren die unlimitierten Verkaufsofferten im Markt. Mit verheerender Wirkung. Genau sechs Sekunden nach 17 Uhr war der indikative Preis schier lotrecht um 30 Prozent auf 30 Euro abgestürzt. Hektik brach aus in den Handelssälen, ungläubig starrten Börsianer auf ihre Bildschirme, Telefonleitungen waren blockiert, die Gerüchte überschlugen sich.
Eine zeitlich unlimitierte Auktion begann, während die meisten der an der Kapitalerhöhung beteiligten Banken verzweifelt versuchten, von ihren Kunden Kauforders für die T-Aktie zu organisieren, um so den Kurs zu stützen und die Anbieter in ihre Schranken zu weisen.
Zu den Verkäufern zählten vor allem das kanadische Maple-Partners-Bankhaus (4,2 Millionen Aktien), die BHF-Bank (1,4 Millionen) und die Bankgesellschaft Berlin (1,1 Millionen). Auch Trinkaus & Burkhardt, die HypoVereinsbank sowie Fimat International Banque, eine Tochter der Société Générale, warfen einige hunderttausend Aktien auf den Markt. Insgesamt verkauften knapp 30 Banken und Makler 12,93 Millionen T-Aktien. Die französische Bank Paribas dagegen orderte 1,5 Millionen T-Aktien, der Freimakler Wolfgang Steubing eine Million, Dresdner Bank und Deutsche Bank je 600.000 Aktien. Gemeinsam konnten sie das Schlimmste verhindern.
Schon gegen 17.09 Uhr lag die Kursschätzung bei 39,50 Euro, sie rutschte später zwar erneut auf 37,70 Euro ab. Aber um 17.29 Uhr und 13 Sekunden hatte sich der Kurs endgültig stabilisiert: Der für die Handelsüberwachung zuständige Börsenvorstand Reto Francioni schloß die Auktion. Börsenchef Werner Seifert war zufrieden. Der Ausgang der Attacke zeigte, daß das erst vor zwei Jahren eingeführte Computer-Handelssystem Xetra auch mit äußerst kritischen Situationen fertig wird.
Auch Heinz-Jürgen Schäfer und Stephan Schuster, die beiden für die Konsortial-Führerschaft zuständigen Manager bei Dresdner und Deutscher Bank, wischten sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatten Ron Sommer ausdrücklich vor diesem Angriff gewarnt daß er aber so heftig kommen sollte, damit hatten sie gewiß nicht gerechnet.
In der Tat hat sich Sommer das Drama um die T-Aktie selbst zuzuschreiben. Sein für die Kapitalerhöhung zuständiger Manager, Helmut Reuschenbach, wollte die neuen Aktien am Montag zum Schlußkurs vom Freitag verkaufen: eine völlig ungewöhnliche Festsetzung des Ausgabekurses, die ein entscheidendes Manko in sich birgt.
Die Telekom hatte ihren Altaktionären nämlich auch Bezugsrechte für die neuen Aktien zugeteilt. Zehn der handelbaren Scheine berechtigten zum Kauf einer T-Aktie mit einem Preisabschlag von zwei Euro. Der innere Wert eines Scheines betrug somit 20 Cent. Doch die Bezugsrechte wurden teilweise unter 20 Cent gehandelt allein an jenem für die Telekom verhängnisvollen Freitag wechselten 104 Millionen Scheine für rund 0,18 Euro die Besitzer.
Gewiefte Anleger witterten eine risikolose Arbitrage ein Geschäft, das kurzfristige Kursdifferenzen eines Wertpapiers ausnutzt. Wer sich etwa zehn Millionen Bezugsrechte für 18 Cent gesichert hatte, brauchte am Freitag nur eine Million T-Aktien zum Schlußkurs zu verkaufen. Wie tief der letzte Kurs war, konnte ihm dabei völlig egal sein. Denn schon am Montag würde er, dank seiner Bezugsrechte, eine Million T-Aktien für zwei Euro unter ebendiesem Schlußkurs zurückkaufen können. Brutto-Einnahme: zwei Millionen Euro. Bei Ausgaben von 1,8 Millionen Euro für die Bezugsrechte bleiben 200.000 Euro Gewinn.
Als ein lupenreines "free lunch", ein kostenloses Mittagessen, bezeichnete ein Frankfurter Banker die von der Telekom gebotene, risikolose Verdienstmöglichkeit. Auch die Feinde der Telekom hatten ein leichtes Spiel. Sie brauchten sich nur eine große Zahl der Bezugsrechte zu sichern und konnten so der Telekom durch massive Verkäufe den letzten Kurs und damit den Preis für die Kapitalerhöhung vermiesen. Und das bei relativ geringen Kosten, selbst wenn sie nicht alle zur Absicherung notwendigen Bezugsrechte für 0,2 Euro bekommen haben.
Bei vielen der Banken, die in der Schlußauktion die Aktien verschleuderten, herrscht mittlerweile betretenes Schweigen. Denn zumindest einige haben, den Unterlagen der Börse zufolge, für die eigenen Bücher gehandelt. Zum Beispiel die BHF-Bank, die dies jedoch bestreitet. "Es war ein Kunde, für den wir die Aktien verkauft haben", sagt Chefaktienhändler Christoph Arzt. Einige der Institute haben wohl tatsächlich für Kunden gehandelt. Wer also sind die Hintermänner der Attacke? Genau das ermittelt nun das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel und die hessische Börsenaufsichtsbehörde.
Viele Banker vermuten eine Verschwörung der institutionellen Anleger. Denn die haben einen triftigen Grund, der Telekom eins auszuwischen. Hintergrund ist ein kleiner, aber sehr effektiver Trick, mit dem Sommer die T-Aktie nach oben trieb: Er ließ die Telekom-Anteile des Bundes für die Börse zu obwohl die dort gar nicht gehandelt werden. Dadurch stieg das Gewicht der Telekom im Dax von 6 auf 14,7 Prozent und viele Fondsmanager, die sich am Dax orientieren, mußten sich für teures Geld mit den Papieren eindecken.
Der Kurs der T-Aktie kletterte deshalb rechtzeitig zur Kapitalerhöhung von 35 Euro auf über 45 Euro. Und einige wenige, nicht an der Kapitalerhöhung beteiligte Banken fanden dafür klare Worte. Die Aktie sei viel zu teuer, warnte etwa das Bankhaus Julius Bär. Analysten vom Credit Lyonnais errechneten einen "fair value" von 37 Euro für das T-Papier.
Wer auch immer hinter der Attacke stand die Millionen Kleinanleger, die neue T-Aktien geordert hatten, können ihnen dankbar sein. Sie haben die T-Aktie dadurch zu einem Preis bekommen, von dem sie wenige Tage zuvor nur träumen konnten.
Weltwirtschaftsforum: Schlechte Noten für deutsche Manager
Die Wirtschaftsmacht Deutschland rutscht im internationalen Vergleich immer weiter ins Mittelmaß zumindest nach Auffassung des unabhängigen Weltwirtschaftsforums (WEF). Fast in allen Kategorien zur Beurteilung der ökonomischen Lage kassierte die Bundesrepublik miese Noten.
Aus: Spiegel Online 13. Juli 1999, 20.00 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]GENF. Ob Professionalität der Top-Manager, Kundenorientierung der Unternehmen oder Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung nach Einschätzung des WEF lasse der Standort Deutschland in vielen Bereichen zu wünschen übrig. Im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit rutschte das Land um einen Platz auf den 25. Rang zurück.
Positiv bewerteten die WEF-Forscher die Innovationsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Allerdings betonten sie, daß es für Jungunternehmer in der Bundesrepublik äußerst schwierig sei, Kredite zu bekommen. Die Neulinge hätten außerdem erhebliche bürokratische Hürden zu bewältigen.
Den Spitzenplatz in der WEF-Rangfolge der Wettbewerbsfähigkeit belegte erneut Singapur vor den USA und Hongkong. Japan fiel um zwei Plätze und erreichte diesmal nur Rang zwölf.
Unter den EU-Ländern erreichte Großbritannien erneut den besten Platz, obwohl sich die Briten innerhalb eines Jahres von Rang vier auf Rang acht verschlechterten. Frankreich und Belgien plazierten sich noch vor Deutschland auf den Rängen 23 und 24.
Schlußlicht ist in diesem Jahr Rußland. Als Hauptgründe für das Absacken Rußlands von Platz 52 auf Platz 59 nannte das WEF mangelndes Vertrauen in die Regierung, Angst vor dem organisierten Verbrechen und die Unzuverlässigkeit der Polizei.
Auffallend schlecht schnitt Deutschland diesmal auch bei den Wachstumsprognosen des WEF für die kommenden acht Jahre ab. Mit einem prognostizierten jährlichen Wirtschaftswachstum von 2,62 Prozent landete die Bundesrepublik nur auf Platz 40 der Wachstums-Rangliste. Den USA (Platz fünf) sagten die WEF-Experten eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um rund vier Prozent pro Jahr voraus.
Verhandlungen zwischen der Telekom und der spanischen Telefónica
Aus: Spiegel-Pressemeldung 17. Juli 1999 zum Artikel "Deutsch-spanischer Flirt" im SPIEGEL 29/1999, 19. Juli 1999, Seite 81 (Trends).HAMBURG. Die Deutsche Telekom möchte mit der spanischen Telefon- Gesellschaft Telefónica fusionieren. "Erste Gespräche", so ein ranghoher Telekom-Manager, habe es "bereits gegeben." Nach einer Meldung des Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL laufen die Kontakte seit rund sechs Wochen. Ranghohe Telekom- Manager halten sich nach Informationen aus dem Unternehmen derzeit in Spanien auf. Auch EU-Kommissar Martin Bangemannn, der demnächst in den Verwaltungsrat von Telefónica-Chef Juan Villalonga einzieht, ist über die Gespräche informiert. Das würde auch erklären, warum die Telekom den geplanten Berufswechsel des Industriekommissars nicht kritisierte [Ed: wo sie doch sonst bei jeder vermeintlichen Behinderung vor Gericht zieht]. Noch in diesem Jahr, so das erklärte Ziel von Telekom-Chef Ron Sommer, will sich die Telekom im Ausland durch Zukäufe verstärken. Telefónica gilt als Perle unter den Telefon-Firmen. Auch eine Allianz mit Cable & Wireless ist noch immer möglich. [Neue Gerüchte]
Strom: Zuviel Wettbewerb
Aus: Der Spiegel 29/1999, 19. Juli 1999, Seite 18 (Panorama).Kaum profitieren die Kunden auch private Haushalte von sinkenden Strompreisen, da soll der Wettbewerb schon wieder eingedämmt werden. Die Sozialdemokraten bereiten eine Neufassung des Energierechts vor. Nach einem "Eckpunktepapier" der SPD-Arbeitsgruppe Energie soll es den Strom- Zwischenhändlern künftig erheblich erschwert werden, mehrere Haushaltskunden kostensparend zu einem Einkaufsverbund zu bündeln.
Was die Kunden freut, ärgert die Gemeinden. Denn mit der Bündelung sinkt die bisher vom Stromlieferanten an die Gemeinde abzuführende Konzessionsabgabe auf rund ein Zwanzigstel des Normalbetrags, das will die SPD verhindern. Die Gemeinden befürchten erhebliche Ausfälle bei den Konzessionsabgaben von zuletzt 6,4 Milliarden Mark im Jahr 1998.
Wirtschaftsminister Werner Müller will dagegen auf keinen Fall das von seinem Vorgänger Günter Rexrodt (FDP) liberalisierte Energierecht ändern. "Bleibt der Wirtschaftsminister bei seiner Linie", so ein Sozialdemokrat, "dann knallt es." Rund 200 SPD-Abgeordnete, prophezeit Energieexperte Volker Jung (SPD), werden für die Energierechtsreform stimmen.
Strom: Die rennen uns die Bude ein
Nach den gesunkenen Telefontarifen winkt den Verbrauchern eine neue Preisrevolution: Millionen Bundesbürger können demnächst ihren Strom billiger einkaufen. Verbraucherschützer warnen allerdings vor übereilten Unterschriften.
Hinweis auf: Der Spiegel 30/1999, 26. Juli 1999, Seite 2224 (Deutschland).
Bertelsmann: Sieg oder Sibirien
Kein Medienkonzern verlegt weltweit mehr Bücher und Zeitschriften als die Bertelsmann AG. Nun will die Firma das Internet erobern, doch die Gründermentalität des Web verträgt sich nur schlecht mit der Kaufmannsethik des Traditionshauses. Der neue Konzernchef verlangt eine Kulturrevolution, Mitarbeiter sprechen vom Kulturkampf.
Hinweis auf: Der Spiegel 30/1999, 26. Juli 1999, Seite 7889 (Medien).
RWE bietet Billigstrom
Das Stromimperium schlägt zurück. Nachdem kleine Anbieter die großen Elektrizitätsunternehmen mit billigen Strompreisen unter Druck gesetzt haben, bläst der größte deutsche Energieversorger RWE zur Gegenoffensive.
Aus: Spiegel Online 30. Juli 1999, 17.01 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]ESSEN. Ab 1. August erhält jeder Privatkunde von RWE Strom zu Preisen, die bis zu 20 Prozent unter denen der Konkurrenz liegen. Über eine telefonische Hot-Line (01801-234 00 00) sowie über die Internetseite des Essener Stromversorgers können Interessenten das Angebot bestellen. Laut Konzernsprecher Erik Walner wird die Kilowattstunde 25,87 Pfennig kosten [Ed: in Italien sind es bereits um die 13 Pf/kWh]. Hinzu kommt für die Kunden eine monatliche Grundgebühr von 11,57 Mark. Mit dem Abschluß bindet sich der Neukunde nach RWE-Angaben für drei Monate, danach kann er mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende aus dem Vertrag aussteigen.
Seit mehr als einem Jahr ist der deutsche Strommarkt für alle Energieanbieter offen. Allerdings fehlt es noch an klaren Regelungen, ob und wie die Anbieter ihren Strom in die Netze lokaler Stadtwerke einspeisen können. Kein Problem, versichert Walner. "Um die Durchleitung kümmern wir uns, egal ob es Probleme gibt oder nicht." Nach RWE-Berechnungen kann ein privater Haushalt pro Jahr bis zu 300 Mark Stromkosten bei einem Wechsel sparen. Walner: "Wir sind Marktführer und wollen den Wettbewerb bestimmen."
E-Plus steht zum Verkauf
Aus: Spiegel-Pressemeldung 31. Juli 1999 zum Artikel "E-Plus im Angebot" im SPIEGEL 31/1999, 2. August 1999, Seite 72 (Trends).HAMBURG. RWE und Veba wollen sich nun doch von ihrer Mobilfunktochter E-Plus trennen. Nach Informationen des Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL verhandelten vergangene Woche beide Konzerne mit Investmentbankern über den Preis. Angestoßen hatte die neue Verhandlungsrunde die Investment-Bank Sal. Oppenheim. Sie hält zur Zeit den 17prozentigen Anteil des dritten E-Plus-Eigners, Vodaphone, um ihn für den britischen Konzern zu verkaufen. Die Angebote, die für diesen Anteil abgegeben wurden, so ein Veba-Manager, seien so hoch, dass auch RWE und Veba, die E-Plus eigentlich an die Börse bringen wollten, nun verhandeln. Für den Verkauf wird E-Plus mit 24 bis 30 Milliarden Mark bewertet. Angebote von France Télécom und dem französischen Mischkonzern Vivendi liegen vor.
Telekom: Kostspieliges Kabel
Aus: Der Spiegel 31/1999, 2. August 1999, Seite 71 (Trends).Rosige Aussichten verspricht die Deutsche Telekom potenziellen Käufern des TV-Kabelnetzes, das sie aus Kartellgründen veräußern muss. In den vergangenen Tagen ließ Konzernchef Ron Sommer ein streng vertrauliches Memorandum der Investment-Bank Rothschild an Kaufkandidaten verschicken. Danach wird der Umsatz aus dem TV-Netz von heute rund 2,5 Milliarden Mark bis zum Jahr 2005 auf knapp 9 Milliarden Mark hochschnellen. Der Zuwachs soll nicht aus den klassischen Fernsehgeschäften kommen, sondern aus völlig neuen Diensten. So würden, heißt es in dem Papier, bereits in fünf Jahren rund 1,7 Millionen Haushalte nicht mehr übers Telefon, sondern per TV-Kabel in das Internet kommen. Damit lasse sich ein zusätzlicher Umsatz von mehr als einer Milliarde Mark erwirtschaften.
Noch rasanter werde die Entwicklung der Internet-gestützten Telefonie verlaufen, die schon bald auf dem Kabel angeboten werden und im Jahr 2005 bereits 3,7 Milliarden Mark Umsatz bringen soll. Und das bei kaum noch zu unterbietenden Preisen: Denn als monatliche Grundgebühr für den Internet-Telefonanschluss wird in dem Geschäftsplan ein Preis zwischen 15 und 19 Mark zu Grunde gelegt. Die Gesprächsminute soll innerhalb Deutschlands zwischen 5 und 8 Pfennig kosten. Allerdings müssen potenzielle Käufer erst einmal kräftig investieren und das nicht nur beim Kaufpreis, der nach Telekom- Vorstellungen bei deutlich über 20 Milliarden Mark liegen soll. Um das Netz für die neuen Angebote umzurüsten, heißt es in dem Papier, müssten bis zum Jahr 2005 außerdem mehr als 6,4 Milliarden Mark in neue Technik investiert werden. [mehr]
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