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Die Telekommunikation in DIE ZEIT – Teil 2 khd
Stand:  20.8.2001   (26. Ed.)  –  File: Zeit/2.html




Dokumentiert sind hier in Auszügen oder als Links zum ZEIT-Archiv einige ausgewählte und in einer Zusammenstellung besonders interessante Artikel aus der Wochenzeitung DIE ZEIT. Tippfehler gehen zu meinen Lasten. Kommentare sind in [Ed: ...] angegeben.

  • Neuere ZEIT-Artikel   (3. Teil).
  • 20.07.2000: Der Reiz des Neuen. (Elektronischer Handel)
  • 25.05.2000: Luft unterm Hammer. (UMTS-Auktion und die Folgen)
  • 16.03.2000: Europa ans Internet! (Artikel von Romano Prodi)
  • 24.02.2000: „Bürokraten hätten das nie geschafft“. (Gespräch mit Tim Berners-Lee)
  • 24.02.2000: Kraftprobe im Netz. (Kampf von T-Online und AOL)
  • Ältere ZEIT-Artikel   (1. Teil).



    Kraftprobe im Netz

    T-Online und AOL kämpfen mit harten Bandagen um Internet-Kunden

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 9, 24. Februar 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    Unzulässiger Parameter – sagt die Fehlermeldung auf dem Bildschirm. Die Internet-Verbindung, die über Monate reibungslos funktionierte, kommt plötzlich nicht mehr zustande. Was um alles in der Welt ist ein "unzulässiger Parameter"? Anruf bei der Hotline des Providers. "Wir haben hier in der vergangenen Woche eine neue ISDN-Software installiert", klärt der Mitarbeiter im Call-Center den Anrufer auf. "Sie müssen Ihren Treiber aktualisieren. Den können Sie sich ganz einfach aus dem Netz laden." Wie man das bewerkstelligen soll, wenn gerade der Zugang zum Netz nicht funktioniert, sagt der freundliche Helfer natürlich nicht.

    Trotz solcher Widrigkeiten scheint der Online-Boom unaufhaltsam. "Ich bin drin!" Das Aha-Erlebnis des Boris Becker hatten etwa 8 Millionen weitere Bundesbürger, die im vergangenen Jahr bei den unterschiedlichsten Anbietern online gingen. Erstmals erlebten sie die Segnungen des weltweiten Datennetzes. Damit verdoppelte sich die Zahl der Nutzer in nur einem Jahr. Geht der Trend so weiter – und nichts spricht dagegen –, werden Ende dieses Jahres weit über 20 Millionen Deutsche online sein.

    Eine beeindruckende Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass der Weg ins Netz noch lange nicht so einfach ist, wie es Boris im Werbespot suggeriert. Wer einmal versucht hat, einen nur fünf Jahre alten, ansonsten klaglos funktionierenden PC ans Internet anzuschließen, der kann ein Lied von der Schwierigkeit singen, Modem und Zugangssoftware zu installieren und alle Komponenten dazu zu bringen, reibungslos zusammenzuarbeiten.

    Sagen wir es frei heraus: Computer sind eine Zumutung. Wer würde einen Bescheid der Telefongesellschaft mit der Aufforderung akzeptieren, man möge sich ein neues Gerät kaufen, weil das alte nicht mehr mit der neuen Ðbertragungstechnik kompatibel sei? Oder die Auskunft des Autoherstellers, man brauche einen Satz neuer Reifen, weil man die Straßen mit einem neuen, hypermodernen Belag gepflastert habe? Dieselben Konsumenten, die bei derartigen Ansinnen vor Empörung in die Luft gehen würden, werden als Computernutzer zu duldungsstarren Jasagern, die sich jede Frechheit bieten lassen.

    Das Internet verbreitet sich also nicht wegen des Computers, sondern trotz des Computers. Man stelle sich vor, das Handy müsste erst fünf Minuten "hochgefahren" werden, bevor man ein kurzes Telefonat führen kann! Je mehr das Netz tatsächlich zum Massenmedium wird, umso mehr wird deutlich: die grauen Kisten auf unseren Schreibtischen sind das eigentliche Hemmnis für viele, online zu gehen.

    Gleichwohl setzen inzwischen immer mehr traditionelle Branchen auf neue Entwicklungen rund ums Netz: Gerade erst hat die Deutsche Bank erklärt, in großem Stil ins Online-Geschäft einsteigen zu wollen. Und je mehr Unternehmen sich im Netz engagieren, umso mehr verliert es den Hauch des Exotischen.

    Die Online-Gebühren befinden sich im freien Fall

    Zurzeit wird das Geschäft vor allem durch rapide sinkende Tarife angekurbelt. Musste vor Jahresfrist der Surfer außer den Telefongebühren von 4,80 Mark pro Stunde noch einmal mindestens 2 Mark als Entgelt für den Online-Dienst berappen, so ist heute bei allen großen Providern die Internet-Stunde schon für 2,50 bis 3 Mark zu haben – inklusive Telefongebühr. Jüngstes Tiefstgebot beim Zeittakt: Microsoft bietet seinen renovierten MSN-Service für 1,98 Mark pro Stunde an.

    Der deutsche Internet-Nutzer profitiert von einem Kampf um die Kunden, dessen wichtigste Protagonisten im Moment AOL und T-Online heißen. Beide verfügen über gut gefüllte Kriegskassen. Der weltgrößte Online-Dienst AOL will mit dem Ableger der Telekom künftig auch in Deutschland gleichziehen, hat hierzulande aber bisher nur 1,2 Millionen Kunden im Vergleich zu 4,2 Millionen, die via T-Online auf die elektronische Reise gehen. Entsprechend hart sind die Bandagen, mit denen der Kampf um die Kunden ausgefochten wird.

    Das neueste Zauberwort in der Auseinandersetzung heißt "Flatrate". Sie befreit vom Zeittakt und bedeutet, dass pro Monat nur noch eine Pauschale fällig wird, egal wie viel und wie lang man surft. Für 149 Mark pro Monat ist das bei Mannesmann Arcor bereits seit einiger Zeit möglich. Damit sich der Tarif im Vergleich zum billigsten Stundentakt lohnt, muss der Surfer allerdings schon mindestens 75 Stunden im Netz sein – ein Angebot also, das sich nur für Vielsurfer lohnt. Billiger ist die "Flachrate" nur im Rotlichtmilieu zu haben: Vom 1. April an (kein Scherz!) bietet ein Hamburger Erotikdienst eine Monatspauschale von 89 Mark an, inklusive einer unverfänglichen E-Mail-Adresse. Ein Koppelgeschäft, das der Anbieter wohl mit weiteren Einnahmen von Kunden finanzieren will, die sich ins schlüpfrige Zusatzangebot verirren.

    Auch T-Online hat inzwischen angekündigt, seinen Kunden demnächst drei Pauschalangebote zu offerieren, darunter eine Flatrate von unter 100 Mark im Monat. Immer noch ein stolzer Preis. Trotzdem ist die Konkurrenz sauer, insbesondere AOL-Europe-Chef Andreas Schmidt. Denn die Telekom, die mit einem Marktanteil von etwa 98 Prozent immer noch über ein Quasimonopol in den Ortsnetzen verfügt, bittet nicht nur ihre eigenen Kunden zur Kasse, sondern berechnet auch den Online-Diensten für die Nutzung ihrer Leitungen einen Zeittakt.

    "Der Telekom gehören die Straßen", so Schmidts Vergleich. Und sie argumentiere: "Wenn du über diese Straße fahren willst und dann anschließend in mein Kaufhaus kommst, dann erlasse ich dir die Straßennutzungsgebühr, oder ich senke sie. Alle anderen Kaufhäuser stehen dumm da, weil sie die vollen Straßennutzungsgebühren zahlen müssen." Telekom- Sprecher Stephan Broszio verweist angesichts solcher Proteste auf die Tatsache, dass T-Online formal eine selbstständige Firma sei und die gleichen Gebühren an die Telekom zahle wie die Konkurrenz. Auch ein kapitalkräftiger Dienstleister wie AOL könne ruhig etwas Fantasie bei der Tarifgestaltung entwickeln.

    Dabei würde AOL eine solche Flatrate gern auch den eigenen Kunden anbieten, wenn die Telekom ihre Leitungen zu "Großhandelspreisen auf Basis ihrer tatsächlichen Kosten" anböte. Nach einem Gutachten, das AOL an der Universität Potsdam erstellen ließ, könnte das die Internet-Wirtschaft noch einmal gewaltig ankurbeln: 400.000 Arbeitsplätze, so schätzt der Leiter der Studie, Paul Welfens, könnten durch die Flatrate geschaffen werden. "Das Internet kann Deutschland ein zweites Wirtschaftswunder bescheren und schon kurzfristig zu einem radikalen Abbau der Arbeitslosigkeit führen", schreiben die Gutachter. Und nach einer Umfrage der Zeitschrift connect würde eine Flatrate von 20 Mark noch einmal 13,3 Millionen zusätzlicher Nutzer ins Netz bringen.

    Die neueste Runde im Kampf der Online-Giganten wird an den Schulen ausgefochten – Telekom und AOL wetteifern um den Titel des größten Wohltäters. Vergangene Woche kündigte Telekom-Chef Ron Sommer an, allen deutschen Schulen einen kostenlosen ISDN-Anschluss fürs Internet zu spendieren. Einzige Bedingung: Die Schulen müssen über T-Online ins Netz gehen. "Das ist wie die berühmte Geschichte von Herrn Rockefeller mit Öl für die Lampen Chinas", kocht AOL-Chef Schmidt. Der amerikanische Ölmagnat verschenkte der Legende nach Lampen, um mit dem Brennstoff sein Geschäft zu machen. Heißt in diesem Fall: Viele, die als Pennäler mit T-Online gesurft sind, werden der Firma auch als Erwachsene treu bleiben.

    Nach der Telekom lockt jetzt auch AOL Schüler und Lehrer in das eigene Netz

    Am Dienstag dieser Woche konterte Schmidt. "Nachdem nun alle Schulen mit kostenlosen ISDN-Zugängen ausgestattet sind", bekommen jetzt auch alle 44.000 Lehranstalten einen kostenlosen AOL-Zugang. Der Hintergedanke: Eigentlich müsste die Telekom einer Schule, die AOL nutzt, den Gratisanschluss wieder kappen – gewiss keine sehr populäre Maßnahme. Um die Schulen zum Wechsel zu motivieren, preist AOL seine eingebaute Kinderschutz-Software an – und erlässt zusätzlich allen Lehrern die AOL-Grundgebühr.

    Die Preise dürften also kaum noch ein Hemmnis für die breite Masse der potenziellen Kunden sein, ins Internet zu gehen. Bleibt die Hardware – die geliebten und gehassten grauen Kisten. Bis auf weiteres werden sie noch das wichtigste Vehikel sein, um ins Internet zu gelangen. Computer aber sind noch immer kompliziert und teuer. So kommt in Deutschland im Schnitt erst auf jeden dritten Einwohner ein Gerät.

    Eine Zeit lang liebäugelten die Online-Dienste damit, nach dem Vorbild der Mobilfunkanbieter ihren Kunden die Computer kostenlos oder zu einem symbolischen Niedrigpreis zu überlassen, um dann ihr Geschäft mit den Gebühren zu machen. Zurzeit sind aber die Preise für Chips und Computer aus Fernost so hoch, dass sich das nicht rechnet.

    Eine Initiative, die drohende digitale Klassengesellschaft abzuwenden, kommt jetzt von einigen amerikanischen Firmen, namentlich Ford und Delta Airlines. Die stellen ihren Mitarbeitern für eine Monatsgebühr von 10 bis 20 Mark einen fertig konfigurierten PC samt Drucker und Internet-Anschluss ins Haus. Der Ladenpreis dieser Ausstattung summiert sich allein für die 350.000 Ford-Mitarbeiter auf einen Betrag von etwa 600 Millionen Mark. Allerdings befürchten die US-Gewerkschaften schon, dass die Arbeitgeber nicht nur selbstlose Ziele mit ihrer Aktion verfolgen, sondern damit auch ausloten wollen, wie viele ihrer Arbeitnehmer sich für computergestützte Telearbeit erwärmen könnten.

    Zudem ist absehbar, dass der PC den vielen Zwecken, zu denen man das Internet benutzen kann, auf die Dauer nicht mehr gerecht wird. Was nützt die Web-basierte Fahrplanauskunft der Hamburger Verkehrsbetriebe, wenn man nachts an der Bushaltestelle wartet, der Computer aber zu Hause steht? Während in den USA das Leitbild der zukünftigen Internet-Entwicklung immer noch die Verschmelzung mit dem Fernsehen im heimischen Wohnzimmer ist, treiben vor allem die europäischen Firmen das Zusammenwachsen von Handy und Internet voran. In dieser Frage hat Europa mit seinem weiter entwickelten digitalen Mobilfunknetz gegenüber den USA im Moment eindeutig die Nase vorn.

    So ist der Zeitpunkt schon absehbar, an dem die Zahl der Internet-Nutzer größer sein wird als die Zahl der Personalcomputer. Zwar scheint das Internet in seiner heutigen Form noch vielen Menschen uninteressant. Das aber dürfte sich ändern, wenn immer mehr Unterhaltungsangebote wie TV und Video übers Netz kommen. Irgendwann wird der Netzanschluss dann zu einer Selbstverständlichkeit – und die Frage nach der Marktdurchdringung des Internet so sinnvoll wie die nach der Zahl der Stromnutzer.



    „Bürokraten hätten das nie geschafft“

    Ein ZEIT-Gespräch mit dem Erfinder des World Wide Web

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 9, 24. Februar 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    DIE ZEIT: America Online und Time Warner wollen fusionieren und werden damit zum größten Medienkonzern der Welt. Das neue Unternehmen wird sowohl den Zugang zum Internet offerieren wie auch das, was seine Benutzer dort finden, also die Inhalte. Müssen wir uns Sorgen über eine derartige Machtzusammenballung machen?

    TIM BERNERS-LEE: Ich habe Sorgen wegen der Unabhängigkeit des Mediums Internet, ganz gleich, über welches Unternehmen wir reden. Wir kaufen eine angesehene Zeitung, weil wir
    Wir kaufen eine gute Zeitung, weil wir erwarten, dass wir unabhängige Informationen bekommen, dass Inhalte und Werbung getrennt sind. Im Internet gibt es unredliche Methoden, diese Trennung aufzuheben.
    erwarten, dass wir unabhängige Informationen bekommen, dass Inhalte und Werbung getrennt sind. Im Internet gibt es zahlreiche unredliche Methoden, diese Trennung aufzuheben. Wir vertrauen auf den Zugang wie zu einem öffentlichen Straßensystem. In Wirklichkeit kann es sein, dass wir von einem Internet-Unternehmen unfreiwillig zu Web-Seiten gesteuert werden, die dafür viel Geld bezahlt haben. Damit wird Information, und unsere Sicht der Welt, auf eine manchmal sehr subtile Weise gefiltert.

    ZEIT: Sie sagen, das World Wide Web bestehe aus vier Ebenen: Übermittlung, Hardware, Software und Content, also Inhalt. Müssen diese Ebenen in unterschiedlicher Hand bleiben, um Unabhängigkeit zu gewährleisten?

    BERNERS-LEE: Genau das wäre im Interesse des Verbrauchers und auch im Interesse einer demokratischen Gesellschaft. Konsumenten müssen die Möglichkeit haben, ihren Computer bei einem, ihre Software bei einem anderen Unternehmen zu kaufen. Oder ebenden Zugang zum Internet und seine Inhalte von verschiedenen Stellen zu beziehen. Es ist ja nicht schwer, sich schlimme Szenarien auszumalen: Sie kaufen einen Kühlschrank mit einem Flachbildschirm und Internet-Zugang. Und Sie bekommen nur Informationen über bestimmte Supermärkte, weil die Kühlschrankfirma das so will.

    ZEIT: Die wenigsten Menschen benutzen das Internet in der Küche. Aber AOL/Time Warner werden in Amerika 22 Millionen Kabelkunden haben, die dann vielleicht nur AOL-Inhalte zu sehen bekommen. Der angesehene Ökonom Paul Krugman meint, dass es bei der Fusion nur darum geht, große Teile der elektronischen Prärie einzuzäunen. Zugang gibt es anschließend nur für Mitglieder, die dafür zu zahlen bereit sind.

    BERNERS-LEE: Es ist Sache der Presse, der Benutzer und unabhängiger Organisationen, dieses genau zu beobachten. Wer ein Handy mit Internet-Zugang kauft, muss selbst kontrollieren, ob damit jede Web-Seite erreichbar ist. Grundsätzlich gibt es ja zwei Möglichkeiten, mit dieser Frage umzugehen: Entweder schaffen wir eine Art UN-Charta über die Unabhängigkeit des Internet, das wäre ein fürchterlich komplexes globales Regelwerk. Oder wir setzen darauf, dass die Presse – und wir alle – klar und deutlich macht, dass es für ein Unternehmen sozial nicht akzeptabel ist, beispielsweise den Zugang zur Web-Seite eines anderen Unternehmens zu kontrollieren, weil die beiden Firmen miteinander konkurrieren.

    ZEIT: Der Staat soll sich nicht einschalten?

    BERNERS-LEE: Ich bin mir nicht sicher. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Auf der einen Seite steht die Meinung, dass ungefilterter Zutritt zum Internet ein Menschenrecht ist so wie das Recht auf sauberes Wasser. Telefongesellschaften hatten lange Zeit ein Monopol, aber dafür mussten sie einen universalen Zugang garantieren. Es gab kein Telefon, mit dem man nur bestimmte andere Telefone anrufen konnte. Auf der anderen Seite steht das Problem, dass man in den Markt eingreift: Es gibt Unternehmen, die Ihnen einen Computer schenken, wenn Sie dafür zunächst immer eine bestimmte Web-Seite ansteuern. Soll man das verbieten?

    ZEIT: Was meinen Sie?

    BERNERS-LEE: Ich möchte abwarten und mir genau anschauen, ob der Markt so funktioniert, wie ich mir das wünsche. Sehen Sie, die ZEIT überlebt, obwohl in Deutschland tagtäglich Millionen Anzeigenblätter in die Briefkästen flattern. Der Markt hat Platz für beides. Vielleicht ist das auch im Internet nicht anders.

    ZEIT: Es scheint mir, dass unsere Gesellschaften mit ihren Gesetzen, Regelwerken, sozialen Kontrakten einigermaßen atemlos dem hinterherhecheln, was ihnen das neue Medium Internet vorgibt.

    BERNERS-LEE: Nein, das stimmt nicht. In 90 Prozent der Fälle ist dieser Eindruck falsch. Die Meinung, es im Cyberspace mit einem gesetzesfreien Raum zu tun zu haben, ist blanker Unsinn. Im Internet handeln Menschen, Menschen leben in Nationen, und Nationen haben Gesetze. Regeln, die über Handel oder Betrug Recht sprechen, ganz gleich, um welches Medium es sich handelt. Diese Gesetze lassen sich ohne weiteres auf das Internet übertragen. Nur in Ausnahmefällen, etwa beim Copyright, ist dies nicht der Fall.

    ZEIT: Bleiben wir bei diesem Beispiel: Wie sollen wir mit intellektuellem Eigentum oder Lizenzgebühren umgehen, beispielsweise beim Herunterladen von Musik vom Netz?

    BERNERS-LEE: Wir müssen so schnell wie möglich Standards ausarbeiten, die Musik im Netz markieren. Ihre Maschine macht dann "ping" und sagt Ihnen: Wenn Sie dieses Foto oder jene Musik haben wollen, kostet das was. Und Sie zücken Ihre Cyber-Brieftasche und zahlen elektronisch einen Pfennig oder eine Mark. Das W3-Konsortium hat mit dieser Arbeit begonnen. Wir haben ein so genanntes resource description framework entwickelt, eine Technologie, mit der beispielsweise professionelle Musiker, Fotografen oder Künstler die Möglichkeit haben werden, potenziellen Kunden Informationen über ihr intellektuelles Eigentum zu geben.

    ZEIT: Ganz grundsätzlich: Jedes neue Medium wird nur dann akzeptiert, wenn der Nutzer Vertrauen zu ihm hat. Sie haben bereits zahlreiche Möglichkeiten genannt, wie das Internet dieses Vertrauen enttäuschen kann. Datenschutz ist ein weiteres schwieriges Thema. Wie kann mir garantiert werden, dass meine persönlichen Daten, die im Web stehen, nicht missbraucht werden?

    BERNERS-LEE: Ideal wäre eine Situation, in der klare Regeln bestimmen, dass jeder Verbraucher grundsätzlich den größtmöglichen Datenschutz genießt – wenn es keine anderen Absprachen gibt. Wenn ich online einen Pullover bestelle, darf das Unternehmen Angaben über meine Größe in der eigenen Datei behalten, aber nicht an andere Dateien weitergeben. Das ist im Prinzip das, was die Europäer für den Internet-Datenschutz vorschlagen, und ich finde diesen Weg richtig. Andererseits: Es muss auch möglich sein, dass ein Kunde seine Daten freiwillig weitergibt und damit möglicherweise Geschäfte macht.

    ZEIT: Und wie soll das geschehen?

    BERNERS-LEE: Bisher ist das noch viel zu kompliziert. Normalerweise wird Ihnen auf einer Web-Seite oben gesagt: Der Schutz Ihrer Daten ist uns wichtig. Nach ein paar
    Nur dann, wenn die Reichen bereit sind, den Armen zu helfen, wird uns die Technologie die Möglichkeit geben, soziale Systeme zu entwickeln, in denen mehr Gerechtigkeit herrscht.
    Mausklicks erfahren Sie dann vielleicht, dass es alle möglichen Ausnahmeregeln gibt – wenn Sie sich die Mühe gemacht haben, all das Kleingedruckte auf dem Bildschirm zu lesen. Wir werden das einfacher machen. Das Konsortium ist dabei, einen Standard zu entwickeln, der P3P heißt. Mit ihm wird ein Browser automatisch die Datenschutzregeln einer Web-Seite abrufen können. Wenn dann diese Regeln nicht mit den persönlichen Datenschutzwünschen übereinstimmen, wird jede weitere Interaktion mit der Web-Seite abgebrochen.

    ZEIT: Datenschutz wird in die Hand jedes einzelnen Verbrauchers gelegt?

    BERNERS-LEE: Der Kunde wird beteiligt. Genauso gut kann es aber auch zum Beispiel Verbraucherschutzorganisationen geben, die bestimmten Web-Seiten einen Gütesiegel erteilen. Noch einmal: Die Frage ist, ob wir Märkte schaffen, auf denen Unternehmen, die sich nicht an den Datenschutz halten, kein Geschäft mehr machen können. Gibt es also genügend Druck vom Markt – oder benötigen wir den Staat?

    ZEIT: Vertrauen kann auch durch Zensur zerstört werden. Der US-Kongress hat mehrfach versucht, den Zugang zu Internet-Adressen abzublocken, die als jugendgefährdend eingestuft werden. Wie würden Sie das regeln?

    BERNERS-LEE: Zugang zu Web-Seiten würde ich überhaupt nicht regeln.

    ZEIT: Was halten Sie dann vom Vorgehen der Computerfirma Apple, die Mac-Benutzern demnächst ein so genanntes KidSafe-Programm anbietet? Mit ihm gibt es Zugang nur noch zu Internet-Seiten, die von Apple abgesegnet wurden. Damit wird das Unternehmen zum Zensor.

    BERNERS-LEE: Halt! Apple bietet seinen Kunden damit einen Service an, den diese nutzen können oder auch nicht. Auch in Ihrer Zeitung filtern Sie Informationen. Sie entscheiden, was Ihre Leser auf der ersten Seite finden. Sie üben Zensur aus. Aber damit leisten Sie auch einen Service. Wichtig ist, dass der Nutzer eines Mediums die Wahl hat. Wir sollten uns hier nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen. Weder sollte uns Porno im Internet so verrückt machen, dass wir nach Zensur rufen, noch sollten wir so viel Angst vor Zensur haben, dass einer Firma wie Apple verboten wird, einen speziellen Service anzubieten.

    ZEIT: Das World Wide Web begann als Medium, in dem jeder im Prinzip gleich war. Jeder hatte gleichen Zugang. Heute, so scheint es manchmal, hat der einzelne Nutzer nicht mehr viel zu sagen. Wir reagieren auf das, was uns die Unternehmen anbieten. Kommerz und das große Geld regieren.

    BERNERS-LEE: Blödsinn. Am Anfang des Web stand der Ethos, dass jeder gleich ist. Gleichen Zugang gab es nie. Hinter Ihrer Frage steckt diese Haltung, die ich oft höre – dass das Internet verrottet, dass es zu kommerziell wird, dass zu viel Geld im Spiel ist. Wir leben in einer Marktwirtschaft! Der Markt ist für das riesige Wachstum des Internet verantwortlich. Ohne den Markt gäbe es die Tausende junger Firmen nicht, die das Web bevölkern. Das ist gut für den Verbraucher. Irgendeine Regierungsbürokratie hätte das nie geschafft.

    ZEIT: Jedenfalls hat es der Markt bisher nicht vermocht, aus dem Web das zu machen, was Sie sich anfangs auch erträumten: nicht nur ein Medium für Information und Kommerz zu sein, sondern zusätzlich ein Medium der lokalen und globalen Zusammenarbeit. Können Sie sich vorstellen, dass sich dieser Traum noch erfüllen lässt?

    BERNERS-LEE: Dafür wären viele Dinge nötig. Zunächst brauchen wir Verschlüsselung. Niemand ist bereit, innerhalb einer Gruppe zusammenzuarbeiten, wenn es dort keine wirkliche Privatsphäre gibt. Wir arbeiten in einem Raum zusammen, weil wir die Tür schließen könnenÝ...

    ZEIT: ... aber Regierungen mögen keine verschlossenen Türen.

    BERNERS-LEE: Richtig, einige Regierungen haben Verschlüsselung im Internet bisher verhindert. Daneben müssen Arbeit und kreatives Schaffen im World Wide Web durch Veränderungen von Software und Interface wesentlich einfacher werden. Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem Kreativität durch einen einzigen Mausklick möglich ist ohne langes Suchen nach E-Mail-Adressen, Dateien oder anderen Informationsspeichern.

    ZEIT: Dann könnten wir intuitiv und direkt kommunizieren?

    BERNERS-LEE: Nehmen wir an, Sie wollen Fotos versenden. Bisher müssen Sie dafür zunächst alle möglichen Programme rauf- und runterladen. Künftig wird es möglich sein, diese Fotos direkt, automatisch und ohne große Schwierigkeiten an Ihre Familie zu schicken mithilfe neuer Web-Standards und neuer Technologien, die derzeit entwickelt werden. Ich hoffe, dass wir damit noch in diesem Jahrzehnt so weit sind.

    ZEIT: Was ist das Web dann? Kein einfaches Werkzeug mehr?

    BERNERS-LEE: Das Web wird zum Raum. Es wird zu einem Klumpen Ton, der geformt, bearbeitet, verändert werden kann. Es wird Menschen dabei helfen, ihr eigenes "Lebensnetz" zu bauen.

    ZEIT: Wird es die Art und Weise verändern, wie wir kommunizieren und zusammenleben?

    BERNERS-LEE: Es macht uns nicht klüger, aber wir haben eine größere Auswahl – mit wem wir reden, was wir lesen, was wir veröffentlichen. Es wird unsere Gesellschaften nicht automatisch gerechter und weniger hierarchisch machen. Aber die Technologie gibt uns die Möglichkeit, soziale Systeme zu entwickeln, in denen mehr Gerechtigkeit herrscht. Allerdings nur dann, wenn die Reichen bereit sind, den Armen zu helfen.

    ZEIT: Heutzutage ist das Web ein Medium der Ersten Welt. Und selbst innerhalb der reichen Länder gibt es das, was die Amerikaner digital divide nennen. Millionen haben nach wie vor keinen Zugang zum Netz.

    BERNERS-LEE: In Ländern wie den USA wird sich die Kluft zwischen Menschen mit oder ohne Internet schnell verkleinern. Dafür sorgen der Markt und die rapide voranschreitende Verbilligung von High-Tech-Geräten. In Entwicklungsländern ist die Situation wesentlich schwieriger. Wir können jemandem, der kein sauberes Wasser hat, nicht Internet-Zugang für 200 Dollar im Jahr anbieten. Die Liste der Dinge, die reiche Länder den Armen schulden, ist lang. Das Internet ist ein weiterer Punkt auf dieser Liste.

    ZEIT: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass irgendwann einmal die Weltbevölkerung mithilfe des World Wide Web über ökologische Fragen entscheiden kann.

    BERNERS-LEE: Ich meine damit nicht eine weltweite Volksabstimmung. Aber nehmen wir an, es gelänge, ärmere Länder an den Standard der reichen Nationen anzunähern. Zwischen der Ersten und der Dritten Welt bestehen tiefe geografische, kulturelle und ökonomische Unterschiede. Wenn wir über das Internet netzwerkartige und unmittelbare Verbindungen schaffen, können wir diese Trennlinien überwinden und mehr Verständnis füreinander erzeugen. Stellen Sie sich vor, Kinder in entwickelten und unterentwickelten Ländern würden an gemeinsamen Projekten arbeiten und dabei lernen, wie unterschiedlich ihre Länder, Kulturen und Lebensstile sind. Das wäre ein interessantes Experiment.

    ZEIT: Ihre humanistischen Ideale sind so alt wie die Menschheit selbst. Nur haben wir sie nie wirklich umgesetzt. Glauben Sie wirklich, dass das Medium World Wide Web daran etwas ändern kann?

    BERNERS-LEE: Jahrein, jahraus versuchen wir, die Dinge besser zu machen. Dafür nutzen wir jedes Mittel, das uns in die Hände kommt. Das World Wide Web ist nichts anderes als ein weiterer Schritt auf einem Weg, der uns hoffentlich einmal zum Ziel bringen wird.



    Europa ans Internet!

    Die Gemeinschaft muss fit werden für die New Economy

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 12, 16. März 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    In Deutschland scheint der lange Winter ökonomischer Stagnation vorbei, die grünen Triebe der Wiederbelebung regen sich. Wieder einmal müssen all jene, die Deutschland als den kranken Mann Europas dargestellt haben, wohl klein beigeben.

    Und auch die Konjunkturaussichten für die gesamte EU sind vielversprechend, aufgrund einer geringen Inflation, einer gesunden
    Romano Prodi will die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel in Lissabon unter Druck setzen. Sie sollen sich auf Zielmarken für die ökonomische Erneuerung einigen.
    Zahlungsbilanz und eines geschätzten Wachstums von drei Prozent für dieses und nächstes Jahr. Das ist eine solide Grundlage für nachhaltiges Wachstum. Nur, das darf niemanden zur Selbstzufriedenheit verleiten. Die 15 Regierungen in Europa müssen vielmehr ihr erneutes Selbstvertrauen nutzen, um weitreichende Wirtschafts- und Sozialreformen durchzusetzen. Sie müssen eine gemeinschaftliche europäische Wissensökonomie schaffen, die wettbewerbsfähig, innovativ und zugleich sozial ist.

    Sich auf die new economy vorzubereiten ist eine vordringliche Aufgabe. Europa kann in den nächsten zehn Jahren die wettbewerbsfähigste Wirtschaft der Welt werden. Es ist wirtschaftlich stabil, hat gute Bildungssysteme und ein starkes Sozialmodell, um eine klare Führungsrolle im neuen Weltwirtschaftssystem zu übernehmen. Schöpft Europa sein Potenzial jedoch nicht aus, kann es schnell ins Hintertreffen geraten. Nirgends zeigt sich dies klarer als bei der sich schlagartig ausbreitenden digitalen Technik.

    In einer Woche, in Lissabon, ist die Zeit reif, den Stein ins Rollen zu bringen. Dann werden wir, die politischen Führer der EU, zusammenkommen, um über eine Agenda für wirtschaftliche und soziale Erneuerung in Europa zu debattieren. Sollte jemand dabei so etwas wie ein Déjà-vu-Empfinden haben, so sei ihm verziehen. In der Tat hat es solche Versuche, Europa in eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft zu verwandeln, die Arbeitsplätze schafft, in der Vergangenheit genug gegeben. Aber diesmal stehen die Dinge anders. Das Klima für eine Reform auf europäischer Ebene ist, vor allem durch den Euro, günstiger denn je. Die EU-Regierungen mussten in der Fiskal- und Geldpolitik mit Bedacht handeln, um sich für die neue Währung zu qualifizieren. Jetzt, mit dem Euro, gibt es eine neue Tendenz zum "europäischen Denken", um die Währungsunion mit der richtigen Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik zu untermauern.

    Europa kann wieder eine Führungsrolle einnehmen, wenn es denn seine Schwächen bekämpft. Das Wachstum war in den letzten Jahren durchgängig niedriger als in den USA. Obwohl die Arbeitslosigkeit derzeit sinkt, ist sie immer noch unerträglich hoch, besonders unter Frauen und in den Dienstleistungsbranchen. Europa hinkt in der Anwendung neuer Technologien hinterher. Teilweise liegt das an zu niedrigen Investitionen in die Ausbildung, teilweise an zu hohen Kosten für den Internet-Zugang. Für kleine Firmen ist es schwer, zu schlagkräftigen Unternehmen heranzuwachsen; Risikokapital über Europas Grenzen hinweg bleibt schwer erhältlich; die europäische Forschung ist zerstückelt; und tolle Ideen brauchen zu lange, um sich einen Weg in den Markt zu bahnen. Die Kosten für Krankheit, Kriminalität und andere Nebenwirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit sind nicht nur moralisch inakzeptabel. Sie sind auch alarmierend hoch: Die Europäische Kommission schätzt ihren Preis auf etwa zwei Billionen Euro oder auf jährlich 12 bis 20 Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes.

    Deshalb ist meine Aufgabe beim Gipfel in Lissabon, unter Europas Spitzenpolitikern für den nötigen Handlungsdruck zu sorgen. Ich werde ein Maßnahmenpaket vorschlagen, das auf zwei zentralen Achsen ruht. Erstens werde ich die Regierungen der EU dazu drängen, all jene wirtschaftlichen Reformen zu verfolgen, die auf die Entfaltung der Wissensökonomie zielen. Dies verlangt die völlige Integration der europäischen Finanzmärkte bis zum Jahr 2005, mitsamt der Bereitstellung von Risikokapital. Und dies verlangt mehr Wettbewerb in all jenen High-Tech- Sektoren, wie der Luftfahrt, dem Bank- und Energiewesen sowie der Telekommunikation, in denen Europa bislang zurückliegt. Ich werde zu einer gemeinschaftlichen europäischen Forschungspolitik bis 2002 aufrufen und mich einsetzen für einfacheren und günstigeren Schutz geistigen Eigentums durch ein einheitliches EU-Patent. Ich werde die Staats- und Regierungschefs drängen, benchmarks für die Beurteilung ihrer Bemühungen zur Förderung von Risikobereitschaft und Innovation zu setzen. Dies schließt die Verringerung der Bürokratie auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene ein. Laut OECD vergeudet Europa aufgrund unnötiger Regelungen jährlich drei bis fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts.

    Zweitens werde ich die Staats- und Regierungschefs aufrufen, Europas Sozialmodell durch Investitionen in seine Menschen zu modernisieren und zu stärken. Dies bedeutet mehr Geld für Bildung und die digitale Alphabetisierung aller Bürger. Alle Schulen sollen bis zum Jahr 2001 an das Internet angeschlossen und alle Lehrer bis zum Jahr 2002 in der Anwendung geschult werden. Und bis zum Jahr 2005 sollen alle Bürger die Möglichkeit haben, sich in diesem Bereich ausbilden zu lassen. Das heißt nicht, dass ich etwa die Verantwortung der deutschen Länder oder der Bundesregierung nach Brüssel übertragen will. Es geht hier um Politikbereiche, die fest in nationaler oder regionaler Hand bleiben müssen – wo wir aber durch die Vereinbarung gemeinsamer Ziele auf europäischer Ebene viel gewinnen können.

    Ich werde in Lissabon ebenfalls darauf drängen, Europas Sozialversicherungssystem zu reformieren, einschließlich der Alterssicherung. Ich werde vorschlagen, Ziele für die Armutsbekämpfung zu setzen und einen neuen sozialen Dialog zu beginnen. Und ich werde die politischen Führer Europas bedrängen, Vollbeschäftigung wiederherzustellen, und zwar mit dem klaren Ziel, die Arbeitslosigkeit auf das Niveau in den beschäftigungspolitisch erfolgreichsten Ländern zu drücken. Durchgreifende Reformen brauchen die Unterstützung der europäischen Bürger; und die legen Wert darauf, dass die Kluft zwischen Arm und Reich geschlossen wird.

    Wir europäischen Spitzenpolitiker müssen uns für die Reise nach Lissabon mit all unserem politischen Mut und Willen wappnen. Die Zeit für eine politische Zusammenarbeit war niemals reifer. Der Preis der Uneinigkeit wäre, der Welt zu signalisieren, dass Europa blind ist für die new economy. Unsere Bürger werden den Erfolg des Gipfeltreffens nicht an elegant formulierten Kommuniqués messen, sondern an konkreten Zielen, Daten und Zeiträumen zur Umsetzung unserer Vorhaben. Sie werden uns an unserer Entschlossenheit messen, Europa zu einer globalen Führungsrolle zu verhelfen.



    Luft unterm Hammer

    Die Frequenzen für die neue Mobilfunkgeneration UMTS werden demnächst versteigert. Die Technik hat viel zu bieten. Aber wer wird sie nutzen?

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 22, 25. Mai 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    Schon mal gehört? UMTS? Sicher. Denn neuerdings elektrisieren die vier Buchstaben nicht nur Technikfreaks. Und das, obwohl selbst die Langform des Kürzels (Universal Mobile Telecommunications Systems) nicht unbedingt Klarheit schafft. Macht nichts. Die Spannung wächst. Der Grund: Man muss von High Tech gar nichts verstehen, um eines zu begreifen: Es geht um viel Geld, um sehr viel sogar. Und darum, ob eine große Chance verspielt wird.

    Bislang erster und vielleicht sogar einziger Profiteur ist Finanzminister Hans Eichel. Über 100.000.000.000 (in Worten: einhundert Milliarden) Mark könnte ihm UMTS in die Kasse spülen. So viel ist womöglich jenes Stück Luft wert, das in Deutschland demnächst versteigert wird. Wer den Zuschlag für die Frequenzen bekommt, erhält zugleich die Eintrittskarte für einen Zukunftsmarkt.

    Überall auf der Welt wird das begehrte, aber knappe Gut derzeit vergeben. Mobilfunkanbieter brauchen es unbedingt, wollen sie den Anschluss an die dritte Mobilfunkgeneration nicht verpassen. Datenautobahnen in der Luft sollen es künftig möglich machen, außer Sprache und Texten auch Musik, Bilder und selbst Filme blitzschnell und drahtlos zu transportieren. Außerdem können Handys und andere Minigeräte mit dem Internet verbunden werden; eine Symbiose mit ungeahnten Chancen – aber auch Risiken.

    Derzeit hat Europa beim Mobilfunk ausnahmsweise die Nase vorn. Zwar verschlief der Alte Kontinent in den siebziger und achtziger Jahren zunächst die Computerrevolution, lief dann der Internet-Entwicklung hinterher. Bei der mobilen Telefonie aber, bemerkte selbst das amerikanische Wirtschaftsblatt Business Week noch Ende vergangenen Jahres, sei der Rollentausch geglückt. Europa habe beste Aussichten auf eine "technologieorientierte neue Wirtschaftsära".

    UMTS ist ein Schlüssel dazu. Kommt künftig alles so, wie die Optimisten hoffen, tun sich für die Anbieter und ihre Kunden ganz neue Perspektiven auf. Schon hat die Euphorie der Web- Wirtschaft auch die Mobilfunker erfasst. Manche sehen bereits Sterntaler vom Himmel regnen. Eine schöne Geschichte – wären da nicht jene Pessimisten, die fürchten, dass sich so manches Unternehmen am Ende übernimmt, das Ganze womöglich zur Luftnummer wird.

    Die zentrale Frage: Wer will die vielen neuen Mobilfunkdienste überhaupt? Und vor allem: Wer ist bereit, dafür zu zahlen? Halbwegs sichere Prognosen vermag im Moment niemand abzugeben. Denn alle wissen, dass dieser Markt noch völlig unberechenbar ist.

    Wer hätte beispielsweise gedacht, dass es junge Leute plötzlich cool finden, sich mit dem Adlersuchsystem auf den winzigen Tasten eines Handys die Finger wund zu tippen, nur um eine Kurzbotschaft zu versenden? Umständlicher geht's kaum. SMS heißt dieser Service, der zurzeit in Deutschland trotz aller Widrigkeiten boomt.

    Mit dieser Primitivversion mobiler Datenübertragung hat UMTS allerdings nichts gemein. Was aber soll dessen Vorteil sein? Die Vision: Informationen und Dienste, auf einem Multimedia-Phone anschaulich präsentiert, sind auf die Wünsche einzelner Personen perfekt zugeschnitten. Ein Beispiel:

    Stellen Sie sich vor, Sie müssen überstürzt eine Reise antreten. Noch während des Fluges – vorausgesetzt, es wird demnächst gestattet – suchen Sie sich via Handy ein Hotel am Zielort, ausnahmsweise gleich in der Nähe des Bahnhofs, von dem aus sie am nächsten Tag wieder durchstarten. Für den Abend reservieren Sie einen Tisch beim Japaner gleich um die Ecke, weil Ihr Gesprächspartner so gern Sushi mag. Und das alles, ohne die Stadt zu kennen. Vorsichtshalber erkundigen Sie sich noch nach dem aktuellen Kinoprogramm, falls der Termin wider Erwarten doch noch platzt. Selbstverständlich gibt Ihnen das System Auskunft darüber, wie Sie das Büro Ihres Gesprächspartners vom Flughafen aus am preiswertesten, schnellsten oder bequemsten erreichen. Die Tickets sowohl für den öffentlichen Nahverkehr als auch für die Weiterfahrt mit der Bahn am nächsten Tag können Sie elektronisch bestellen – und bezahlen. Natürlich ist auch die Taxizentrale des Ortes online erreichbar. Vielleicht reicht die Zeit noch für einen kurzen Blick auf die Börsenkurse. Oder gibt es etwa News, die Sie keinesfalls verpassen sollten? Nur der Vollständigkeit halber: Auch für Unterhaltung soll gesorgt werden. Selbst ein elektronischer Einkaufsbummel wäre möglich. Und zur großen Freude aller daheim gebliebenen Ehemänner lässt sich Ihr Standort jederzeit orten – bis auf 100 Meter genau.

    Zugegeben: Es braucht seine Zeit, um all das zu realisieren. Doch im Laufe des Jahres 2002, spätestens 2003, wollen die Mobilfunker mit der neuen Technik bereits starten.

    Bis dahin ist es den Ungeduldigen unbenommen, noch etliche andere Systeme zu testen. Zum Beispiel Wap (Wireless Application Protocol). Dahinter verbirgt sich eine Technik die es bereits heute erlaubt, abgespeckte Inhalte aus dem Internet in Form von Texten und Zahlen auf dem Minidisplay eines Handys darzustellen. Allerdings sind die Angebote noch stark limitiert und die Verbindungen langsam. Deshalb hält sich das Surf- Vergnügen in Grenzen. Doch schon bald, möglichst noch in diesem Jahr, soll bereits GPRS (General Packet Radio Service) starten. Es ist sozusagen das ISDN des Mobilfunks, eine Art Turbo für die bereits vorhandenen vier Netze, welche die Telekom (D1), Mannesmann/Vodafone (D2), E-Plus und Viag Interkom besitzen.

    Für die dritte Generation, UMTS, müssen alle Betreiber eine weitere Infrastruktur aufbauen. Das bietet auch ganz neuen Unternehmen die Chance, in das Geschäft einzusteigen. Hierzulande bewerben sich bislang elf Unternehmen und Konsortien (siehe Liste) um eine Lizenz. Nächste Woche wird die Regulierungsbehörde entscheiden, wer an der Auktion teilnehmen darf.

    Der Milliardenpoker könnte viele in die roten Zahlen treiben

    Hat der Finanzminster Glück, treiben die Interessenten den Preis kräftig in die Höhe. Bis zu sechs Lizenzen werden vergeben. Der Preis für jede einzelne könnte sich leicht auf 10 bis 20 Milliarden Mark hochschaukeln. Das zeigt die Erfahrung aus Großbritannien. Dort kassierte der Finanzminister insgesamt bereits 75 Milliarden Mark – eine Summe, die alle Antennen ausfahren ließ.

    Die etablierten Anbieter der Branche sind eher geschockt. Zwar halten auch sie die Auktion für ein grundsätzlich faires Verfahren. Ihr Problem aber: Etliche Nachbarländer vergeben die Frequenzen zum Nulltarif. Und wer zu Hause geschont wird, kann hierzulande richtig pokern (siehe ZEIT Nr. 19/00).

    Schon wächst der dumpfe Verdacht, dass die Idee mit der Auktion gar nicht so gut war. Denn zu den astronomischen Summen kommen anschließend noch stattliche Investitionen für den Ausbau der Netze. Damit steigt die Unwägbarkeit, schnell genug das viele Geld wiederzusehen, welches die Investoren erst einmal ausgeben müssen. Die Finanzminister und Netzausrüster akzeptieren nämlich nur Cash. Mit Aktien lassen sie sich nicht abspeisen. Alle hoffen, dass die weltweite Begeisterung, mobil zu telefonieren und zu surfen, auch weiterhin anhält. Allein in Deutschland stieg die Zahl der Handynutzer im vergangenen Jahr um stattliche 47 Prozent auf gut 20 Millionen. Jeder vierte Deutsche ist somit bereits mobil erreichbar. In Italien ist es bereits jeder Zweite. Bis zum Jahresende, so schätzt das Marktforschungsinstitut Forit, könnten auch hierzulande schon annähernd 40 Millionen Menschen ein Handy benutzen. Bis 2004, so glauben die Forit-Forscher, wird sich diese Zahl auf 60 Millionen erhöhen. Und davon werden 80 Prozent internetfähig sein.

    Selbst wenn die optimistische Prognose eintritt, sprudeln die Einnahmen nicht automatisch in gewohnter Höhe weiter: Preiskämpfe lassen die Gebühren für die reine Sprachübertragung nämlich weiter sinken. Also müssen neue Einnahmequellen her. M-Commerce heißt deshalb das Schlüsselwort, ganz nach dem Vorbild des E-Commerce, des digitalen Handels im Netz, diesmal nur mobil.

    Aus diesem Grunde sind die Funker dabei, ähnlich wie im Internet, so genannte Portale zu bilden, von denen aus ihre Kunden alle möglichen Dienste in Anspruch nehmen können. Das soll ihre Anziehungskraft erhöhen und – über die üblichen Gebühren hinaus – weiteres Geld einspielen. Allesamt starteten bereits eine hektische Suche nach Kooperationspartnern, die möglichst attraktive Inhalte oder Dienste anbieten.

    Man verhandelt kreuz und quer durch alle Branchen: Mobilfunker kooperieren neuerdings mit Verlagen, die Inhalte liefern sollen. Handyhersteller reden mit Online-Diensten, die wiederum rücken mit Banken zusammen, um Finanzdienstleistungen zu ermöglichen. Netzausrüster loten bei Radiosendern und Touristikkonzernen aus, was ihr Beitrag zum Gelingen des Riesenprojekts sein könnte.

    Das Problem nur: Alle wollen am Ende daran verdienen. Wer aber bekommt welchen Anteil an dem Mehrwert, der erst noch geschaffen werden muss?

    Für Inhalte beispielsweise sind die Internet-Nutzer bis heute nicht bereit zu zahlen. Ob das Geschäft mit der Werbung wirklich läuft, muss sich erst noch zeigen. Auch Provisionsmodelle sind noch nicht ausgereift. Vor allem aber wissen alle Beteiligten nicht, ob sie die Rechnung womöglich ohne die Kunden machen. Schlechte Vorzeichen: Nicht einmal ein Drittel der von der Unternehmensberatung Arthur D. Little befragten Firmen zeigte sich bereit, für besondere Leistungen einen höheren Preis zu zahlen als für herkömmliche Mobilfunkdienste.

    "Ein Blindflug", glauben denn auch die Analysten der WestLB Panmure. Die Netzbetreiber müssten viele Milliarden investieren, ohne Informationen über das Kundenverhalten und die Akzeptanz neuer Dienste zu besitzen. Weil es um das Zusammenspiel von Produkt- und Serviceangeboten gehe, würden sie sich plötzlich nicht in einem Netzwerk, sondern in einem Spinnennetz wiederfinden.

    Als sei das nicht alles schon unübersichtlich genug, kommt noch ein weiterers Risiko hinzu. Die Mobilfunkbetreiber handeln sich nicht nur sämtliche Chancen, sondern auch Probleme der Internet-Wirtschaft ein. Das größte: Die Zuverlässigkeit und Sicherheit. Im Internet herrschen Verhältnisse wie im Wilden Westen. Jüngstes Beispiel war die digitale Liebesbotschaft, die sich unaufhaltsam durch die Rechner dieser Welt fortpflanzte und dort, wo man sie nicht gleich vernichtete, große Schäden anrichtete.

    Das Web ist geradezu ein Tummelplatz für Hacker und Betrüger. Nicht nur Urheberrechte werden sträflich missachtet, auch der Datenschutz droht auf der Strecke zu bleiben. Und man ist weit davon entfernt, Rechtsgeschäfte sicher und verbindlich abwickeln zu können. Immer wieder zeigen Umfragen, dass Verbraucher deshalb noch große Skepsis hegen. Soll der Handel im Netz und via Handy boomen, müssen vor allem sichere Zahlungssysteme her. Auf Hochtouren arbeiten deshalb Netzbetreiber, -ausrüster, Handyproduzenten und Softwareanbieter an Lösungen. Auch das hat allerdings seinen Preis.

    Bittere Konsequenz: Die hohen Vorleistungen dürften die neuen Offerten sehr teuer machen – oder für drastisch schrumpfende Gewinne sorgen, vielleicht sogar für tiefrote Zahlen. Die Kunden haben schließlich die freie Wahl, ob sie Wap, dann GPRS und schließlich UMTS nutzen oder einfach nur – wie bisher – schlicht telefonieren wollen. Vom Erfolg der neuen Technik hängt aber ab, ob Europa seine Vorreiterrolle behaupten kann.

    Ralf Hallmann von der Bankgesellschaft Berlin prophezeit bereits einen "starken Konsolidierungsdruck", was nichts anderes heißt als eine wachsende Übernahmewelle. Das britische Forschungsinstitut Lombard Street Research kommt in einer Studie zu einem ziemlich eindeutigen Schluss. Die britische Auktion sei ein "großer ökonomischer Fehler" gewesen. Die deutsche könnte der nächste sein. [mehr] [UMTS-Versteigerungserlös]



    Der Reiz des Neuen

    Wie sich die Hochschulen auf den elektronischen Handel einstellen

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 30, 20. Juli 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    Es ist fast so, als wollten es die Hochschulen ihren Kritikern mal so richtig zeigen. Dass sie eben nicht verzopft sind, dass sie den Zug der Zeit erkannt haben und sich marktgerecht verhalten können. E-Commerce, der virtuelle Handel im Internet, boomt, und kaum eine Universität, kaum eine Fachhochschule will es sich leisten, abseits zu stehen.

    Viele Hochschulen wollen mit eigenem Profil und neuartigen Studienprojekten auf dem Bildungsmarkt präsent sein. Hoch im Norden hat die Fachhochschule Flensburg zusammen mit einer
    Die zwei Seiten des E-Commerce spiegeln sich in den Studienangeboten wider. Einige befassen sich mehr mit der Technik des Internet, andere mit den Folgen für die Wirtschaft.
    schwedischen Hochschule einen internationalen Master-Studiengang in E-Business auf die Beine gestellt. In Bayern bietet ein Verbund von neun Fachhochschulen eine virtuelle Ringvorlesung an: E-Business – Internetbasierte Geschäftsabwicklung. In der Bankenstadt Frankfurt am Main hat seit Beginn des Sommersemesters 1999 der 34-jährige Bernd Skiera den deutschlandweit ersten Lehrstuhl für Electronic Commerce inne. An der Universität Jena, soll es schon im Herbst einen weiteren Lehrstuhl geben, gestiftet von Stephan Schambach, dem Gründer des Softwarekonzerns Intershop.

    Doch was für ein Lehrangebot erwartet die potenziellen Studienanfänger? Und hält das, was sie lernen sollen, dem schwindelerregenden Wandel in der Wirtschaft stand? Kritiker wie Klaus Dubiella, Ausbildungsleiter der Computerfirma Hewlett-Packard Deutschland, warnen eindringlich vor "Schnellbleichen" und vor "Etikettenschwindel". Nicht in allem, wo das Zauberwort E-Commerce draufstehe, sei auch wirklich E-Commerce drin.

    Der österreichische Wirtschaftsinformatiker Gustav Pomberger, der zurzeit an der Universität Linz die Berufungsverhandlungen für einen neuen Lehrstuhl für E-Commerce leitet, stellt das derzeitige akademische Niveau vieler Lehrangebote im Bereich E-Commerce sogar grundsätzlich infrage. Vieles, was in den Vorlesungen und Seminaren erzählt werde, sei theoretisch noch nicht genügend abgesichert. Bei einer so jungen Disziplin wie dem E-Business sei dies allerdings nicht verwunderlich. Heftig in die Haare gerieten sich die Professoren in der Linzer Berufungskommis-sion über die Frage, ob sich E-Commerce vorwiegend technisch oder ökonomisch definieren solle.

    Vor einer ähnlichen Richtungsentscheidung steht auch, wer einen der zahlreichen, oft erst zum Wintersemester 2000/2001 neu eingerichteten E-Commerce-Studiengänge belegen will. Die meisten Angebote sind in der Informatik, der Betriebswirtschaft und der Wirtschaftsinformatik angesiedelt. Künftige Studentinnen und Studenten müssen sich darüber klar werden, ob sie sich mehr fürs Programmieren, für die handwerkliche Gestaltung von Websites und komplexen Datenbanksystemen erwärmen können oder eher für eine vorwiegend theoretische Durchdringung der durch das Internet angestoßenen ökonomischen Veränderungen. Eine der beiden Seiten auszublenden, hält Hans Ulrich Buhl, Sprecher des Fachbereichs Wirtschaftsinformatik der Gesellschaft für Informatik, allerdings für falsch. Wie das Mischungsverhältnis zwischen Informatik und Betriebswirtschaftslehre konkret beschaffen ist, sei jedoch ziemlich unerheblich.

    Praktiker bestreiten ein Viertel der Lehrveranstaltungen

    In den Vorlesungen und Seminaren des von Bernd Skiera geleiteten Frankfurter Lehrstuhls für E-Commerce sollen erklärtermaßen die der neuen Disziplin zugrunde liegenden ökonomischen Prinzipien herausgearbeitet werden sowie deren Umsetzung in unternehmerische Entscheidungen. Also etwa Fragen des Markteintritts im Internet, der Preisbildung auf elektronischen Märkten und der Kundenbindung. Das Wissen um diese Themen ist oft brandneu und veraltet schneller als die Homepage einer Schülerzeitung. Gute Literatur zum Thema sei Mangelware, sagt Skiera. Der Stoff für die Lehre stamme oft aus Fachzeitschriften. Oder von Praktikern: Unternehmensvertreter bestreiten in Frankfurt ein Viertel der Lehrveranstaltungen.

    Für die Studenten kann dieser Pioniergeist seine besonderen Reize haben. "Es ist ganz spannend, sich nicht immer nur vorgefertigte Theorien ins Hirn zu hauen", sagt Cornelia Gellings, eine von Skieras Studentinnen. Der junge Hochschullehrer ist sich nicht sicher, ob angesichts der Dynamik in der Informationstechnik sein Lehrangebot in fünf Jahren nicht schon völlig überholt sein wird. "Vielleicht ist das Thema dann in alle ökonomischen Bereiche hinein diffundiert", sei Marketing eben nur noch als "E-Marketing", Controlling als "EControlling" denkbar. "Dann müsste ich mir etwas Neues suchen."

    Im Gegensatz zu Skieras Lehrstuhl soll die neue Professur in Jena nach den Vorstellungen ihres Stifters Schambach stark technisch ausgerichtet sein. Ihm kommt es darauf an, schnell gut ausgebildete und weiterbildungsfähige Praktiker zu gewinnen. Die Informatik, wie sie heute gelehrt werde, sei zu breit angelegt, sagt der ostdeutsche Unternehmer, dessen Firma zu den Stars am Neuen Markt gehört. "Die Leute brauchen sechs bis neun Monate, um bei uns produktiv mitzuarbeiten." Ein intensives Datenbank-Training wünscht sich Schambach als Lehrgebiet, aber auch die Beschäftigung mit Sicherheitstechnologien fürs Netz. Ebenfalls solle der intensive Austausch mit der Industrie gepflegt werden. "Viele können etwas über ECommerce erzählen", sagt der Jenaer Manager mit Wohnsitz in Kalifornien. Nur bei den praktischen Fertigkeiten hapere es dann.

    Das Spektrum an einschlägigen Lehrangeboten, an Vollstudiengängen, Ergänzungs- und Aufbaustudiengängen, interdisziplinären Studienschwerpunkten, Modulen oder virtuellen Lehrveranstaltungen mit Bezug zu E-Commerce ist in Deutschland mittlerweile fast unüberschaubar geworden. Sogar die Kunsthochschulen haben die Disziplin für sich entdeckt. So befasst sich Peter Friedrich Stephan, Professor für Theorie und Design der Hypermedien an der Kunsthochschule für Medien in Köln, etwa mit dem Thema Medienkulturelle Hintergründe der Ergebnisorientierung im elektronischen Handel. Die Berliner Hochschule der Künste will sich in Kooperation mit dem von IT-Firmen getragenen Institute of Electronic Business mit dem als Weltneuheit gepriesenen Aufbaustudium Electronic Business profilieren.

    Im Wettbewerb um die beste Verbindung von Theorie und Praxis scheinen wieder einmal die Fachhochschulen die Nase vorn zu haben. "Ich habe zurzeit mehr Vertrauen zu den FHs", sagt Stephan Pfisterer, Sprecher des IT-Branchenverbands Bitcom. Die meisten Unternehmen erwarteten von ihren zukünftigen Mitarbeitern eine Ausbildung auf hohem akademischen Niveau, aber auch Praxiserfahrung. "FH-Leute sind schneller einsetzbar, teamfähiger und weniger anfällig für einen Praxisschock."

    Für potenzielle Studenten stellt sich dennoch die Frage, wie seriöse von weniger seriösen Lehrangeboten zu unterscheiden sind. "Schauen Sie sich die Studienordnungen an", rät Pfisterer. "Lassen Sie sich Informationsmaterial schicken, fahren Sie hin, schauen Sie sich die Ausstattung an, sprechen Sie mit den Fachschaften." Ganz besonders achten solle man auf praktische Übungen während des Studiums. Gut sei es, wenn etwa Online- Training statt Frontalunterricht angeboten würde oder wenn die Studenten lernten, eine verkaufsorientierte Website zu gestalten. Einen ganz praktischen Rat gibt Bernd Skiera von der Universität Frankfurt: "Ich schaue mir immer die Websites der Institute an. Wenn keine Downloads da sind, ist es auch mit E-Commerce nicht so weit her."

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    © 2000-2005 – Dipl.-Ing. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 20.12.2009 12.42 Uhr