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Die Telekommunikation in DIE ZEIT – Teil 3 khd
Stand:  4.4.2002   (25. Ed.)  –  File: Zeit/3.html *




Dokumentiert sind hier in Auszügen oder als Links zum ZEIT-Archiv einige ausgewählte und in einer Zusammenstellung besonders interessante Artikel aus der Wochenzeitung DIE ZEIT. Tippfehler gehen zu meinen Lasten. Kommentare sind in [Ed: ...] angegeben.

  • Neuere ZEIT-Artikel   (4. Teil).
  • 04.04.2002: Telefonmarkt: Täglich ins Endspiel.
  • 24.01.2002: Servicenummern: Nach Anruf pleite.
  • 27.12.2001: Interview mit Telekom-Chef Ron Sommer.
  • 14.09.2000: Ökosteuer: Die Benzinbombe.
  • 17.08.2000: Hoch gepokert – und nun? (UMTS-Versteigerung)
  • Ältere ZEIT-Artikel   (2. Teil).



    Hoch gepokert – und nun?

    Nach der Preisschlacht um die Funklizenzen müssen die Auktionssieger erst noch beweisen, dass sie auch Gewinner sind

    Aus: DIE ZEIT – Nr. 34/2000, 17. August 2000, Seite xx (Computer & Medien). [Original]

    Wieder einer dieser verrückten Hypes, wie sie bislang nur aus der Welt des Internet bekannt sind? Für ein Stück Luft boten Unternehmen mit Rang und Namen schon am vergangenen Dienstag fast 86 Milliarden Mark – und brachen damit in Deutschland alle Rekorde. In Großbritannien waren zuvor stattliche 75 Milliarden Mark bei der Versteigerung der neuen Mobilfunkfrequenzen zusammengekommen. Schon diese Summe schockte fast alle – bis auf den britischen Finanzminister. Auch sein deutscher Kollege Hans Eichel hat nun ein Problem ganz ungewohnter Art: Wohin mit dem vielen Geld?

    Für die (un)glücklichen Bieter werden die gigantischen Ausgaben zum regelrechten Klotz am Bein. Aber besser behindert ins Rennen als gar nicht erst starten, war das Motto der Unternehmen, die sich zu diesem Poker entschlossen. Schließlich schaffen die Lizenzen den Zugang zu einem der hoffnungsvollsten Märkte. Vor allem die bereits etablierten Mobilfunker mussten auf Gedeih und Verderb am Auktionstisch Platz nehmen. Denn ohne neue Frequenzen stürzen sie in diesem Geschäft über kurz oder lang einfach ab.

    Nur mit Lizenz können sie neue Funkautobahnen bauen und weiter expandieren. Allerdings: Das eigentliche Abenteuer folgt noch. Ob die Sieger der Auktion auch langfristig zu den Gewinnern zählen, wird sich erst noch zeigen. Denn zunächst müssen sie weitere Milliarden in den Ausbau neuer Netze stecken und völlig neue Dienste kreieren. Ob die potenziellen Nutzer das alles auch zu schätzen wissen, das ist die große Frage.

    Die Telefongesellschaften bauen darauf, dass der bisherige Boom beim Mobilfunk anhält. Die Technik, die ihm zugrunde liegt, wurde zum einzigartigen Erfolg. Das gab den europäischen Anbietern mächtig Auftrieb. Ihr GSM, so der Name des Standards, wurde nicht nur auf dem Alten Kontinent zum Renner.

    Weltweit telefonieren inzwischen rund 350 Millionen Menschen mit dieser Technik. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres wuchs die Zahl der GSM-Nutzer um 22 %. Damit eroberte der europäische Standard den höchsten Anteil am digitalen Mobilfunkmarkt – und ließ zum großen Erstaunen der Amerikaner deren Pendants weit hinter sich.

    Internet per Handy: Das könnte der europäische Knüller werden

    Das alles muss freilich noch nicht bedeuten, dass sich dieser Vorsprung halten lässt. UMTS, so heißt die neue Mobilfunkgeneration, ist nämlich eine völlig neue Technik; die Zeiger stehen also wieder auf null. Allerdings könnte Europa ausgerechnet eine amerikanische Erfindung in eigene Erfolge ummünzen: das Internet.

    Beide Entwicklungen passen vorzüglich zusammen: UMTS liefert die schnelle Datenautobahn via Handy, die Netzwelt eröffnet völlig neue Optionen, maßgeschneiderte Informationen und attraktive Dienste anzubieten. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: drahtlos mit einem mobilen Gerät im weltweiten Datennetz surfen, Aktienkurse abfragen, Geld überweisen, Tickets bestellen und bezahlen, E-Mails empfangen und senden, Musik hören, Videos in Echtzeit ansehen – mit UMTS sollen Informationen jeder Art in Sekundenschnelle auf kleine, handliche Bildschirme katapultiert werden.

    "Die Verschmelzung der beiden heißesten Technik-Trends" stehe bevor, befand das amerikanische Wirtschaftsblatt BusinessWeek jüngst. Und: "Das Epizentrum dieser Revolution liegt auf dem Alten Kontinent." Europas einst schlafende Telefonriesen seien aufgewacht. Zwar säßen die Internet- Stars wie Yahoo und andere in den Vereinigten Staaten. Dafür aber hätten Europa und Asien bei den Netzen, Handys und in der Unterhaltungselektronik die Nase vorn.

    Trotz allem kann noch einiges schief gehen. Die Telefongesellschaften müssen nämlich einen "Blindflug" starten, so die Analysten der WestLB Panmure. Die Netzbetreiber investieren viele Milliarden, ohne über gesicherte Informationen über das Kundenverhalten und die Akzeptanz der neuen Technik zu verfügen. Die ersten Zweifel kamen bereits nach der Auktion in Großbritannien auf. Die grundsätzliche Frage: Wer soll das alles bezahlen?

    So viel ist klar: Der rigorose Wettbewerb dürfte es unmöglich machen, die Tendenz zu immer weiter sinkenden Preisen künftig wieder umzukehren. Schon eher dürften die Gewinne schrumpfen und die Aktienkurse purzeln. So manchem Anbieter könnte über kurz oder lang sogar die Luft ausgehen. Schon wird von etlichen Analysten ein "starker Konsolidierungsdruck" prophezeit, was nichts anderes heißt als eine Ðbernahmewelle.

    Um herauszufinden, was sich Privat- und Geschäftskunden die neue Technik kosten lassen würden, haben die Marktforscher der Ericsson Consulting GmbH ein Jahr lang recherchiert. So werteten sie absehbare Trends aufgrund bereits vorhandener Mobilfunkdienste wie SMS und WAP in Deutschland oder i-mode in Japan aus und diskutierten mit einzelnen Gruppen privater und geschäftlicher Nutzer über deren Wünsche und Vorstellungen. Herausgekommen ist dabei eine "grobe Schätzung" über jene Summen, welche die Pioniere unter den Nutzern zu zahlen bereit wären.

    Bis 2005 prognostizieren die Ericsson- Forscher 9,2 Millionen UMTS-Kunden allein in Deutschland. Im Jahre 2007 sollen es 17,6 Millionen sein und 2010 schon fast 35 Millionen. Das wohl überraschendste Ergebnis: Anders als bei GSM werden es wahrscheinlich nicht die Geschäftskunden sein, die es besonders schnell nach der neuen Technik drängt. Schon gleich beim Start, im Jahre 2002, werden nach den Erkenntnissen von Ericsson jedenfalls ganz normale Nutzer mit 60 % die Mehrheit der UMTS-Kunden stellen.

    Sie sind bereit, rund 25 Mark im Monat an Grundgebühren zu zahlen und weitere 40 Pfennig pro Minute für ein Gespräch hinzublättern. Außerdem wollen sie relativ viel Text verschicken, acht Bilder und eine Grafik versenden, allerdings nur begrenzt Musik herunterladen, aber 42-mal e-mailen und 17-mal das Internet nutzen. Dafür wollen sie freilich nur 33 Mark ausgeben, weitere nützliche Zusatzdienste sind ihnen darüber hinaus 10 Mark wert. Zusammen mit der Grund- und den Gesprächsgebühren kommt auf diese Weise bei Privatkunden eine Rechnung von 100 Mark im Monat zustande. Geschäftskunden würden eine Summe in Höhe von 160 Mark akzeptieren.

    Das klingt vielversprechend. Doch die Zahlen sind nur mit Vorsicht zu genießen: "Es ist derzeit noch sehr schwer, verlässliche Preise vorherzusagen", schränken die Marktforscher von Ericsson selbst ein.

    Je nachdem, wie schnell die Zahl der Kunden tatsächlich wächst, kommen auf die Netzbetreiber horrende Anlaufverluste zu. Sie müssen das Land nämlich mit vielen tausend weiteren Empfangs- und Sendestationen überziehen. Und das verschlingt etliche Milliarden. Mangels geeigneter Standorte werden in Ballungsgebieten schon heute selbst Hochhäuser mit den Funkanlagen bestückt. Der Kampf um einen Platz auf dem richtigen Dach wird jetzt erst richtig losgehen. Die Netzausrüster wie Ericsson, Siemens oder Nokia haben derweil schon alle Antennen ausgefahren. Ihnen sind volle Auftragsbücher sicher. Es klingt zwar paradox: Doch gerade wegen der hohen Investitionen müssen die Telefongesellschaften die neue Infrastruktur zügig ausbauen, um möglichst schnell Kunden ins Netz zu bekommen. Zudem haben sie die Auflage, bis 2005 bereits 50 % der Bevölkerung versorgen zu können.

    Inzwischen wächst die Skepsis, ob ein solches Ausbauprogramm überhaupt zu schaffen ist. Denn nicht nur in Deutschland soll UMTS im Jahre 2002 starten, sondern auch im Rest von Europa. Das aber bedeutet, dass zeitgleich bis zu 60 Netze auf dem Alten Kontinent errichtet werden müssen. Zum Vergleich: In Europa wurden in den vergangenen Jahren im Durchschnitt etwa nur fünf GSM-Netze gleichzeitig aufgebaut. "Es wird wohl zu Verzögerungen kommen", prophezeit deshalb Arno Wilfert von der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Trotz aller Widrigkeiten haben die Europäer und Japaner vor allem einen Vorteil gegenüber den Vereinigten Staaten: Sie einigten sich – nach langem Gerangel – auf technische Standards für die dritte Mobilfunkgeneration. Auch wenn es nicht, wie ursprünglich erhofft, weltweit zu einem einzigen Standard kommen wird, sondern nur zu einer Technikfamilie: Zumindest in Europa und Asien ist der Weg frei für einen Massenmarkt.

    In den Vereinigten Staaten hingegen verzögert sich sogar die Frequenzvergabe. Das Problem: Am US-Himmel herrscht Chaos; eine Folge der großzügigen Vergabe des öffentlichen Guts in der Vergangenheit. Heute sind die erforderlichen Frequenzen für den zukunftsträchtigen Mobilfunk äußerst knapp. Zurzeit werden sie noch von Fernsehstationen genutzt, deren Rechte erst im Jahre 2006 erlöschen: "Ein Problem, das Hunderte Milliarden von Dollar kosten könnte", warnte im Juli bereits Reed Hundt, der ehemalige Chef der US-Aufsichtsbehörde FCC. Sein Appell: Amerika müsse endlich aufwachen.



    Ökosteuer: Die Benzinbombe

    Die Deutschen sind im Spritfieber. Die CDU heuchelt ("Ökosteuer, K.O.-Steuer"), die Regierung gerät unter Argumentationsdruck. Die Debatte um die hohen Kraftstoffpreise verspricht einen heißen Herbst.

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 38/2000, 14. September 2000, Seite xx (Politik). [Original]

    Die Volksseele kocht. Brummifahrer drohen mit Straßensperren. Bild wird ganz rot vor Zorn – die Benzinwut grassiert: Eine solche Riesenchance lässt sich keine Opposition entgehen. Also schwingt sie sich zum Fürsprecher der von Rot-Grün geschröpften Autofahrer auf. Die CDU hatte sich mit ihrer Spendenaffäre selbst k. o. geschlagen. Doch nun haut sie wieder drauf: "Ökosteuer, K.O.- Steuer". Wie im hessischen Wahlkampf, als es gegen die Ausländer ging, haben Union und Stammtisch einen gemeinsamen Schlachtruf. Der Zapfhahn als Pistole, die ausgerechnet Autokanzler Schröder seinem Autofahrervolk an die Schläfe drücke. Gut zwei Drittel der Deutschen glauben, die Ökosteuer sei nichts weiter als Abkassiererei.

    Seit der Benzinpreis die 2-Mark-Marke übersprungen hat, weht Gerhard Schröder, dem eben noch alles gelang, der Wind wieder ins Gesicht. Einerseits steht er bei seinen Wählern im Wort: Stets bekannte er sich zur automobilen Freiheit, jetzt erwartet das Volk tatkräftige Hilfe. Zeigt Schröder kein Erbarmen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich in den Antworten auf die Sonntagsfrage widerspiegelt, dass viele Wähler dem Kanzler und seiner SPD die Gunst entziehen. Und darauf reagiert Schröder erfahrungsgemäß sensibel. Andererseits würde er die Leidensfähigkeit der Grünen überstrapazieren, kassierte er die Ökosteuer ein. Für die meisten Anhänger der Grünen verdiente schon der Atom-Deal mit der Stromwirtschaft das Wort Ausstieg nicht. Sollte ihr zweites Lieblingsprojekt, die Ökosteuer, zuschanden kommen, wäre Schröders kleiner Partner platt.

    Wundersame Rettung ist diesmal nicht in Sicht. Anders als der Atomausstieg lässt sich der Preis an der Zapfsäule nicht schönreden. Der Beschluss der Opec- Ölminister, täglich 800.000 Fass Öl mehr aus dem Boden zu pumpen, wird die Preise nicht nachhaltig sinken lassen. Schon in gut drei Monaten aber ist die nächste Runde bei der Ökosteuer fällig: 6 Pfennig pro Liter, plus Mehrwertsteuer. CDU/CSU und FDP haben den richtigen Riecher: Benzin – das ist der Stoff für einen heißen Herbst [Ed: und nicht der teure, volkswirtschaftsschädigende Zugang zum Internet].

    Rings um Deutschland hat die Revolte handgreifliche Formen angenommen. Französische Spediteure pressten der Pariser Regierung Zugeständnisse ab. Das ermunterte britische und belgische Spritverbraucher. Und als gäbe es ein Grundrecht auf billiges Benzin, blasen nun hierzulande Taxifahrer, Bauern und Transportunternehmer zum Aufruhr – unterstützt von der parlamentarischen Opposition.

    Der Mut der Verzweiflung treibt das Unionstrio Angela Merkel, Friedrich Merz und Edmund Stoiber. Zum Teufel mit den Tatsachen! Skandalös, dass der Steueranteil am Benzinpreis bei 70 % liegt? In der Kohl- Ära waren es schon einmal fast 80 %. Der deutsche Michel – dank Ökosteuer Europameister beim Zahlen? Der Sprit ist in acht EU-Ländern teurer. Die Haushalte, erdrosselt von der Ökosteuer? Den durchschnittlichen Autofahrer, der 15.000 Kilometer im Jahr fährt, kostet die Abgabe pro Tag 50 Pfennig. Wer 3000 Liter Heizöl bunkert, muss als Folge der Ökosteuer 120 Mark draufzahlen, täglich kaum mehr als 30 Pfennig. Darüber freut sich niemand. Aber: Autofahrer, Mieter und Häuslebauer würden es kaum merken, wenn Schröder die Ökosteuer abschaffte.

    Dass Sprit- und Heizölpreise den Verbraucher schmerzen, hat andere Ursachen. Der in Dollar berechnete Rohölpreis hat sich verdreifacht; der Euro hat gegenüber dem Dollar mehr als ein Viertel seines Wertes verloren. Das erklärt zum größten Teil, warum Benzin seit Anfang 1999 rund 50 Pfennig teurer geworden ist. Nur für den kleineren Rest an Preisauftrieb zeichnet der Fiskus verantwortlich – und zwar mit voller Absicht.

    Schließlich gehorcht die Ökosteuer einer Logik, der bis vor kurzem auch Oppositionsführer folgten: Verlässlich, verkraftbar und kontinuierlich macht sie Energie teurer – und sorgt mit sanftem Druck für sparsameren Gebrauch und für die Entwicklung energie- und umweltschonender Zukunftstechnik. Einst fand auch Angela Merkel diesen Mechanismus einleuchtend: ein "notwendiges Element der nationalen Klimaschutzpolitik". Sie plädierte nicht nur für "einen ökologischen Umbau des Steuersystems", sondern beklagte auch, die Debatte werde oft "hitzig und nicht frei von partei- und interessenpolitischen Bewertungen" geführt. Allerdings war sie noch Umweltministerin. Neuer Hut, neue Logik: Nun kocht sie als CDU-Vorsitzende selbst ihr Süppchen mit der Ökosteuer.

    Oder sollte der Markt inzwischen allein zuwege bringen, was der Staat qua Ökosteuer bewerkstelligen wollte? Ist also ihr Lenkungsanreiz wegen gestiegener Ölkosten überflüssig geworden? Momentan vielleicht, nicht auf Dauer. Auch wenn den Zeitpunkt niemand genau kennt – der Euro wird wieder an Kraft gewinnen, der Ölpreis wieder sinken, nicht binnen Tagen, aber binnen Monaten. Die Ökosteuer jetzt zu opfern hieße, die Umweltpolitik zum Büttel des Auf und Ab auf Rohstoff- und Devisenmärkten zu machen – und sie auf Nimmerwiedersehen abzuschreiben. Einmal entsorgt, wird die Ökosteuer nicht wiederkehren.

    Auch die Idee, die Last der Ökosteuer zu senken, wenn der Ölpreis steigt, und die Steuerschraube anzuziehen, wenn er sinkt, überzeugt nicht. Schnell hätten Ölstaaten und -konzerne das Spiel durchschaut und würden den Preisspielraum für sich beanspruchen.

    So schwer es Schröder auch fällt: Er sollte an der Ökosteuer festhalten – und sie ändern. Denn ökologisch nicht zu begründen ist, dass sauberes Erdgas der Steuer unterliegt, schmutzige Kohle aber nicht. Ebenso falsch sind die großzügigen Ausnahmen für die Industrie. Unterm Strich profitieren viele Betriebe sogar, weil sie weniger an Ökosteuer zahlen, als sie an Rentenbeiträgen sparen. Und genau diese Verwendung der Ökosteuer- Einnahmen für die Rentenkasse gehört auch auf den Prüfstand – nicht zuletzt deshalb, weil den komplizierten Zusammenhang kaum jemand versteht. Die Akzeptanz der Ökosteuer stiege, wenn die Einnahmen dem Umweltschutz zugute kämen.

    Die Ökosteuer zu ändern wäre klug, sie abzuschaffen töricht. Nicht nur der Klimaschutz bliebe auf der Strecke, auch die Vorsorge für unbequeme Zeiten. Das Gros der Ölreserven lagert im Boden einer Hand voll Staaten im Nahen Osten. Haben die Industrieländer in rund 10, 15 Jahren ihre eigenen Ölvorkommen ausgebeutet, wächst die Marktmacht der Scheichs. Vor dem Preisschock schützt sich am besten, wer heute lernt, Energie sparsam zu verwenden. Hätte schon die Kohl- Regierung für die Ökosteuer gesorgt, müssten die Autofahrer jetzt weniger leiden.



    „Die Konkurrenz hat gepennt“

    Ron Sommer über klagende Wettbewerber, umstrittene Immobilienwerte und den Kursverfall der Telekom-Aktie

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 1/2002, 27. Dezember 2001, Seite xx (Wirtschaft). [Original]

    DIE ZEIT: Sie haben wegen der umstrittenen Immobilienbewertung den Staatsanwalt im Haus, werden häufig als Monopolist angegriffen und müssen zugleich verärgerte Aktionäre vertrösten. Macht Ihnen Ihr Job eigentlich noch Spaß?

    Ron Sommer: Eindeutig ja. Zwar machen die drei von Ihnen angesprochenen Aspekte nicht unbedingt Freude. Aber ich kann Ihnen sagen, was Spaß macht. Wir haben eine Behörde in einen zukunftsträchtigen, innovativen Kommunikationskonzern verwandelt. Als ich begonnen habe, hat man mir Gesellschaften wie AT&T und British Telecom als Vorbild angepriesen; so müsse die Deutsche Telekom auch werden. Gott sei Dank sind wir nie so geworden. Wir zählen heute weltweit zu den stärksten Dienstleistern in der Branche. Und darauf sind wir stolz.

    ZEIT: Trotzdem ist der Kurs der T-Aktie abgestürzt. Worin sehen Sie die Hauptursachen dafür?

    Sommer: Es kommt immer darauf an, welchen Zeitraum Sie betrachten. Wir sind mit 14 Euro gestartet. Dann gab es an den Börsen einen ungewöhnlichen Boom. Diese Explosion hat anschließend zu einer nicht erwarteten Kurskorrektur geführt. Von dieser Entwicklung waren aber alle betroffen, nicht nur wir. Als die Telekom-Aktie von über 100 Euro auf 60 sank, dachten wir, der Kurs habe sich eingependelt. Was danach kam, war eine ebenso übertriebene Bewegung nach unten wie die zuvor nach oben. Aber das ist eben der Markt. Ein Problem ist, dass wir in Deutschland eine sehr junge Aktienkultur haben. In den Vereinigten Staaten wundert man sich weniger über solche Kursausschläge.

    ZEIT: Ist Ihnen nicht unwohl dabei, ein Spielball solcher irrationalen Abläufe zu sein? Oder spiegeln die gegenwärtig knapp 20 Euro den tatsächlichen Wert des Unternehmens wider?

    Sommer: Keineswegs. Aber der Markt ist sehr kompliziert – und sensibel. Das muss man akzeptieren. Trotz allem: Unser Unternehmen steht heute viel besser da als zu jener Zeit, als es mit 100 Euro bewertet wurde.

    ZEIT: Haben Sie selbst auch Fehler gemacht, die zu dem Kurssturz beigetragen haben?

    Sommer: Nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Aber der zerlegt auch das Unternehmen. Sämtliche unserer großen Entscheidungen sind auch rückblickend richtig gewesen, die Restrukturierung des Unternehmens und die Programmierung auf Wachstum in 4 Bereichen: im Festnetz, im Mobilfunk, Online- Geschäft und als EDV- Dienstleister. Etlichen anderen Exmonopolisten in Europa ist das nicht gelungen. Sie müssen sich jetzt zerlegen.

    ZEIT: War es denn auch richtig, mit der Neubewertung der Immobilien so lange zu warten? Sie haben Anfang des Jahres 4 Milliarden Mark abschreiben müssen und vergangene Woche bekannt gegeben, noch einmal fast 1 Milliarde wertberichtigen zu müssen.

    Sommer: Namhafte Experten haben jetzt noch einmal bestätigt, dass wir keine Fehler bei der Bilanzierung gemacht haben. Es ist höchst kompliziert, mehr als 10.000 Immobilien zu bewerten. Das war ein riesiger Aufwand, übrigens auch schon für die Eröffnungsbilanz der Telekom. Damals durfte ein bestimmtes Verfahren angewendet werden, bei dem vergleichbare Grundstücke mit dem Durchschnittswert angesetzt werden. Nach den ersten Informationen über mögliche Probleme gab es eine Sonderprüfung, die uns sowohl die Methodik als auch die Wertansätze bestätigte. Aber weil wir die Strategie geändert haben und uns jetzt komplett von unseren Immobilien trennen wollen, musste jede einzeln neu bewertet werden. Dem Abschreibungsbedarf stehen übrigens stille Reserven in Höhe von 2,8 Milliarden Mark gegenüber, die wir nach geltendem Bilanzrecht nicht aktivieren dürfen.

    ZEIT: Weil es Klagen von Aktionären gab, ermittelt der Staatsanwalt aber weiter.

    Sommer: Für den Staatsanwalt und seine Mitarbeiter ist dieses Haus offen. Wir haben nichts zu verbergen.

    ZEIT: Kritik ist auch an Ihrer Strategie während der Versteigerung der UMTS-Lizenzen aufgekommen. War es richtig, so hoch zu pokern?

    Sommer: In Deutschland ist ein extrem cleveres Verfahren zum Zuge gekommen. Es war klar, dass es viel Geld kosten würde. Wir hatten für jeden Schritt genau festgelegt, was zu tun ist. Der Ablauf war dann sehr spannend. Schließlich haben wir gesagt: Für uns ist jetzt Schluss. Die Behauptung, wir hätten die Summe für den Finanzminister hochgetrieben, ist absurd. Und Teilnehmer, die heute Probleme haben, hätten sich vorher fragen müssen, welche Chancen sie als fünfter und sechster Anbieter auf dem Markt haben. Hätten sie rechtzeitig Konsortien gebildet, wären nicht so viele an den Start gegangen, und wir wären alle günstiger davongekommen.

    ZEIT: Hoffen Sie denn, dass die Bundesregierung den Lizenznehmern noch entgegenkommt und Erleichterungen schafft?

    Sommer: Was allen etwas bringen würde, wäre die Verlängerung der Abschreibungszeit. Da verliert keiner, es gewinnen alle. Eine weitere Frage ist, was geschieht, wenn es gar nicht zum Aufbau von 6 Netzen kommt, weil sich jemand zurückzieht und die Lizenz zurückgeben muss. Es wäre nicht akzeptabel, wenn diese Frequenzen dann zum Nulltarif neu vergeben würden.

    Im Übrigen muss ich noch einmal meine Kritik an Brüssel wiederholen. Manche Länder haben die Lizenzen fast verschenkt, andere versteigert, wieder andere subventionieren im Nachhinein. Die EU hat es versäumt, die Vergabebedingungen zu harmonisieren. Das Thema wird uns noch verfolgen.

    ZEIT: Stichwort Europa und Globalisierung. Würden Sie heute für den amerikanischen Mobilfunker VoiceStream noch einmal so viel bezahlen wie zur Zeit des Börsenbooms?

    Sommer: Es ist schon verwunderlich, dass das kritisiert wird. Wir sind die Einzigen, die sich transatlantisch positionieren konnten. Und das mit einem Preis, der sich mit dem Weltmarkt bewegt hat. Wir haben mit VoiceStream eine einzigartige Position für den Konzern geschaffen. Es ist eine große Chance, der erste und flächendeckende GSM- Anbieter in den USA zu sein. Damit werden Werte für die Zukunft geschaffen. Und mit 7 Millionen Kunden auf dem amerikanischen Markt sind wir gar nicht so klein, wie es scheint. Der größte US-Anbieter hat nur 28 Millionen Kunden. Von denen telefonieren allerdings 40 % noch mit einer alten Technologie.

    ZEIT: Welches Unternehmen hätten Sie denn gern noch, wenn Sie es bezahlen könnten?

    Sommer: Wir haben im Moment keinen Druck, weitere Unternehmen zu kaufen, weil wir zweistellig wachsen. Und in den nächsten 5 bis 10 Jahren wird es nur ganz wenig Unternehmen geben, die potenzielle Käufer sind. Sehr viele werden hingegen zum Verkauf anstehen.

    ZEIT: Wie viele von den Exmonopolisten bleiben übrig in Europa?

    Sommer: Alle werden in 2, 3 Gruppierungen aufgehen. Eine davon sind wir. Dort wird die Telekom im Zentrum stehen. Wir haben aber von der verhinderten Fusion mit Telecom Italien lernen müssen, dass man in Europa dafür im Augenblick politisch noch nicht reif ist. Deshalb lehnen wir uns erst einmal locker zurück.

    ZEIT: Um zu den Käufern zu gehören, brauchen Sie aber mehr Geld, als Sie es zurzeit haben. Wie steht es um die Gewinne des Konzerns? Sie verweisen gern auf den Ebitda, also den Ertrag ohne Abschreibungen, Zinsen und Steuern. Der fiel mit 11 Milliarden Euro für die ersten 9 Monate 2001 recht stattlich aus. Andererseits werden Sie beim Gewinn vor Steuern für 2001 einen Verlust schreiben. Geht es der Telekom nun gut oder schlecht?<

    Sommer: Richtig gut wird es uns gehen, wenn wir, ganz egal nach welchen Regeln, nur positive Zahlen vorweisen können. Aber schon heute geht es uns, verglichen mit unseren internationalen Konkurrenten, sehr gut. Und das, obwohl wir jährlich rund 6 Milliarden Euro wegen des drastischen Preisverfalls an Umsatz verlieren. Gleichzeitig konnten wir das aber durch neue Geschäftsfelder mehr als kompensieren.

    ZEIT: Wie hoch wird denn der Verlust für 2001 ausfallen?

    Sommer: Der Ebitda wächst auf 15 Milliarden Euro. Darüber hinaus werde ich heute die Jahresabschlusszahlen nicht diskutieren.

    ZEIT: Ihr Glück war es, dass es bislang keinen mächtigen Gegenspieler gibt, der Ihnen rundum Paroli bieten kann.

    Sommer: Das stimmt nicht. Sie dürfen nicht nur den nationalen Markt betrachten. Meine größten Wettbewerber sind die britische Vodafone oder die japanische NTT Docomo. Bei unserem EDV- Dienstleister T-Systems sind es die IBM und AOL bei T-Online. Das Problem ist, dass der deutsche Regulierer meine globalen Wettbewerber in Deutschland gegen mich beschützt. Diese Vorteile habe ich in deren Ländern nicht.

    ZEIT: Es würde viel Druck von Ihnen genommen, wenn Sie Fest- und Ortsnetz voneinander trennten. Denn in dieser Kombination liegt doch viel Konfliktstoff.

    Sommer: Die Monopolkommission hat diesen Vorschlag gemacht, der nichts anderes bedeutet, als die Telekom zu zerlegen. Wollen Sie aber wirklich den einzigen deutschen Global Player zerstückeln und damit zerstören? Die Amerikaner haben erkannt, dass es ein Fehler war, AT&T seinerzeit bürokratisch und nicht nach Kundenwünschen zu zerlegen. Die daraus entstandenen Babybells im Nah- und Regionalgeschäft haben sich inzwischen wieder zusammengeschlossen. Und den Telefongesellschaften, die nur Ferngespräche anbieten, geht es sehr, sehr schlecht.

    ZEIT: Das ändert aber nichts daran, dass Sie in den meisten Ortsnetzen noch einen Marktanteil von 98 % haben, der Wettbewerb dort also nicht vorankommt.

    Sommer: Falsch. Die regionalen Telefongesellschaften haben zum Teil bereits zweistellige Marktanteile in den Ortsnetzen. Rund 60 % der Bevölkerung können in Deutschland inzwischen auch in den Ortsnetzen zwischen Anbietern frei wählen.

    ZEIT: Sie versuchen aber, vor allem mit dem ebenso schnellen wie billigen Zugang DSL Ihr Quasimonopol in den Ortsnetzen zu retten. Ihre Wettbewerber werfen Ihnen vor, systematisch Verluste in Kauf zu nehmen, um diesen Zukunftsmarkt zu besetzen.

    Sommer: Ich muss meinen Wettbewerbern die Anschlussleitung zu einem regulierten Preis überlassen. Sie hätten also längst die Chance gehabt, DSL in großem Stil anzubieten. Doch das haben sie verpennt. Schließlich kam die Telekom zur Überraschung aller und entwickelte DSL zum Massenmarkt. Und nur weil wir erfolgreich sind, müssen wir uns als Monopolist beschimpfen lassen.

    ZEIT: Wohl nicht ohne Grund. Denn die Regulierungsbehörde hat gerade wegen DSL ein Verfahren gegen Sie eingeleitet.

    Sommer: Leider versteht sich die Behörde als eine Instanz, die sich nur um die Wettbewerber kümmern muss. Das führt zu falschen Strategien. Schließlich geht es auch um die Kunden. Deutschland ist der offenste Markt der Welt. Wir haben 700 Wettbewerber. Und die wollen wir nicht subventionieren müssen.

    ZEIT: Fürchten oder hoffen Sie denn eher, dass Sie die DSL-Preise erhöhen müssen?

    Sommer: Das ist keine Frage von Furcht und Hoffnung. Wenn die Regulierungsbehörde ihre Ankündigung wahr macht, dann müssen wir die Preise erhöhen. Das wäre zum Nachteil Deutschlands. Wir haben das Land zur Online- Nation gemacht. Unsere Wettbewerber interessiert nur die Frage, wie sie ihre Margen zulasten der Telekom verbessern können. Außerdem wollen sie nur Rosinen picken. Die Masse der Kundschaft interessiert sie nicht.

    ZEIT: Die Telekom könnte mit einer Preiserhöhung die Phase der Anlaufverluste verkürzen.

    Sommer: Ich halte wenig von kurzfristigen Strategien. Zudem verstehen wir uns als Unternehmen, das eine gesamtwirtschaftliche Verpflichtung hat. Es geht auch um den Fortschritt in Deutschland.

    ZEIT: Dem täte es aber auch gut, wenn es langfristig einen stabilen Wettbewerb gäbe.

    Sommer: Wir können nicht mit einer weltfremden Definition losgelöst von der Praxis isolierte Märkte betrachten. Es gibt auch einen Wettbewerb der Technologien. Beispielsweise ist mein größter Konkurrent in den Ortsnetzen der Mobilfunk [Ed: hm, bei den hohen Verbindungspreisen zu und von Handys?]. Ultraliberalismus kann dazu führen, dass man die Telekom in den Bankrott führt. Und dann werden dieselben Theoretiker in 5 Jahren darüber diskutieren, dass Deutschland keinen Mercedes in der Telekommunikation hat. Und dagegen kämpfe ich.

    ZEIT: Tatsache ist aber, dass Sie es Ihren Konkurrenten, die auf gesetzlich geregelte Vorleistungen der Telekom angewiesen sind, nicht gerade einfach machen.

    Sommer: Es kann doch nicht sein, dass wir die Arbeit tun und auch noch die Kosten dafür tragen. Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken und nicht den Sprücheklopfern. Wir haben in Deutschland im Gegensatz zum Rest von Europa alles an Regelungen zugunsten des Wettbewerbs umgesetzt, was überhaupt möglich ist. Selbst Japan und die USA sind noch weit hinter uns. Wie masochistisch sind wir eigentlich? Es geht schließlich auch um viele Arbeitsplätze. Die Telekom ist doch kein Spielzeug.

    ZEIT: Es geht auch um die Arbeitsplätze bei Ihren Konkurrenten.

    Sommer: Meine Wettbewerber haben große Chancen gehabt. Ich an deren Stelle hätte ein Unternehmen aufgebaut, da hätte die Telekom Blut geschwitzt. Wir haben das Glück gehabt, dass unsere Wettbewerber ihren kurzfristigen Chancen nachgelaufen sind zum Nachteil der langfristigen Strategie.



    N E P P E R

    Nach Anruf pleite

    Abzocker torpedieren das seriöse Geschäft mit Servicenummern. Besonders skrupellos tricksen sie Surfer am Computer aus

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 5/2002, 24. Januar 2002, Seite xx (Wirtschaft). [Original]

    Das Geschäft mit gewissen Nummern blüht. Wer sie anwählt, sucht Hilfe, will informiert, unterhalten oder angemacht werden. Deshalb heißen sie Servicenummern. Manchmal gibt's auch etwas zu gewinnen. Zum Beispiel im Fernsehen. Wer mitmachen will, muss zum Hörer greifen und eine dieser Ziffern wählen, die in diesen Fällen mit 0190 beginnen. TV-Sender nutzen sie inzwischen als neue Einnahmequelle – statt Werbung.

    Nützlich und bequem sind diese Nummern, wenn sie auf seriöse Weise als Bezahlsystem fungieren: für Beratungen aller Art oder beim Einkaufen im Netz. Berühmt und berüchtigt wurden sie, weil auch Sexanbieter ihre viel versprechenden Geschäfte damit machen. In Verruf geraten sie, seitdem Betrüger diese Nummern einsetzen, um skrupellos abzukassieren.

    Der Geldschneiderei via Telefon ist ziemlich einfach zu begegnen: zweifelhafte Nummern erst gar nicht anwählen oder – bei Verdacht – das Gespräch beenden. Beim Surfen am Computer wird die Sache schon schwieriger. Manchmal merken es die Betroffenen gar nicht, dass sie eine solche Nummer länger oder öfter als gewünscht nutzen. Bis die nächste Telefonrechnung kommt. Dann schnappt die Kostenfalle zu.

    So geschehen bei einer Berlinerin, die plötzlich rund 18.000 Mark bezahlen sollte. Ihr minderjähriger Sohn war im Internet an eine dubiose Adresse geraten. Die bot eine Gratissoftware zum Herunterladen an, die das Spielen im Netz komfortabler machen sollte. Stattdessen sorgte der so genannte Dialer dafür, dass fortan bei jeder neuen Reise durchs Netz statt der üblichen Verbindung automatisch eine teure 0190-Nummer angewählt wurde. Der PC wandelte sich unbemerkt in eine Geldvernichtungsmaschine.

    Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Verbraucherschützer nutzen selbst 0190-Nummern, um sich zu finanzieren. Zur sporadischen Abrechnung von Kleinbeträgen eignen sie sich ideal, wurden dafür auch ursprünglich konzipiert. Viele Berater lassen sich so inzwischen ihre telefonischen Auskünfte bezahlen, Informations- oder Unterhaltungsprofis können ihre mehr oder weniger nützlichen Dienste vermarkten. Neben Sex gehören beispielsweise Horoskope und Infos über den Pollenflug dazu, Jobbörsen oder Computer- Hotlines. Außerdem lässt sich das Geschäft mit Kleinanzeigen ebenso schnell wie komfortabel über gebührenpflichtige Nummern abwickeln. Auch auf ganz seriöse Art und Weise.

    Striptease als Belohnung

    Der Markt boomt. Rund 1 Milliarde Euro geben die Deutschen bereits für derlei Dienstleistungen aus. Fast 2 Milliarden sollen es im Jahre 2005 sein, prognostiziert die Telemach Communication Solutions GmbH in Saarbrücken. Ganz erstaunlich: Nicht Erotik reizt das Wachstumspotenzial aus, sondern das Entertainment anderer Art, zum Beispiel das Versenden von Logos und Klingeltönen für Mobiltelefone.

    Eines dieser ganz neuen Geschäftsmodelle erproben TV-Sender wie beispielsweise TM3, inzwischen in Neun Live umgetauft. Nur die Zuschauer selbst sollen die Programme finanzieren: mit ihren Telefonanrufen. Mitmach- oder Transaktionsfernsehen heißt diese Errungenschaft. In der Regel sind es Gewinnspiele, die den Griff zum Hörer auslösen sollen. Beispielsweise, um Fragen wie diese zu beantworten: Wie hieß die Frau von Adam? Manchmal gibt's 100 Mark dafür. Manchmal aber auch Striptease, wissen eifrige Zuschauer zu berichten. Manchmal aber zahlt man eben nur – und schaut dann in die Röhre. Einen Wachstumsschub versprechen sich die Marktforscher von Telemach von den neuen Rufnummern, die demnächst angeboten werden: Sie beginnen mit 0900 und sind die Fortsetzung der 0190 mit noch freizügigeren Tarifen.

    Eigentlich eine gute Idee. Denn auch bei kleinen Einkäufen im Netz können die Rechnungen per Mausklick beglichen werden – statt Kreditkartennummer oder gar Kontonummer angeben zu müssen. Der Betrag wird ganz einfach über die Telefonrechnung eingezogen. Seriöse Anbieter halten sich dabei an Spielregeln, auch im Internet. Sie schleusen die speziellen Programme nicht trickreich in die Rechner ihrer Kunden und machen es einfach, sie wieder zu löschen. Außerdem sind sie verpflichtet, die geforderten Gebühren anzugeben. Doch wer kontrolliert das? Und wer sanktioniert, wenn es zu Verstößen kommt? Kaum anzunehmen, dass künftig Aufseher in Telefon- und Computernetzen genauso patrouillieren wie jene auf Deutschlands Wochenmärkten.

    So steht denn zu vermuten, dass Anwälte und Richter verstärkt gefragt sein werden. Auch der Berliner Fall landete vor dem Kadi. Das Berliner Landgericht verurteilte die Frau dazu, die horrende Summe zu zahlen. Das Urteil schreckte auf, ging in die zweite Instanz. Noch ist in diesem spektakulären Fall also nichts endgültig entschieden. Derweil aber häufen sich Warnungen vor dem unbedarften Laden solcher Programme. Sie sind die jüngste und bedrohlichste Variante moderner Raubzüge in den Fernmeldenetzen.

    Üble Tricks sind gang und gäbe. Zum Beispiel auch jene Versuche, mit unverlangten Faxen, E-Mails oder Kurzbotschaften via Handy die Besitzer dazu zu bewegen, kostenpflichtige Nummern anzurufen. Vor allem Jugendliche lieben es, sich Bilder und neue Klingeltöne zu beschaffen. Ein teurer Spaß. Zwischen 6 und 10 Mark kassierten die 10 Anbieter, welche die Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen testete. In diesem Fall hatten sie in Jugendmagazinen geworben. Langatmige Ansagen sorgten in einem Fall dafür, dass schon 9 Mark anfielen, bevor die Bestellung überhaupt aufgegeben werden konnte. Anrufer eines ganz gewissen Gewerbes klagen über noch dreisteren Nepp.

    Ein "Ärgernis erster Ordnung", sagt Egbert Grote vom Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin. Etwa 800 bis 1000 Beschwerden gehen im Monat ein – und laufen oft ins Leere. Beispiel Faxe: Unverlangte Werbung, die unter anderem zum Anruf bei 0190- Nummern animiert, ist zwar verboten. Aber: "Recht haben heißt noch lange nicht, Recht zu bekommen", kritisiert Professor Thomas Hoeren, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster. Seine Erfahrung: Die schwarzen Schafe verstehen es, "in der Anonymität unterzutauchen und im Hintergrund zu kassieren".

    Möglich wird das durch die sorglose Vergabepraxis der umstrittenen Nummern. Sie werden von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Bonn verwaltet. Die gibt sie an Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom weiter, welche sie entweder direkt vermarktet oder auch an spezielle Dienstleister weiterreicht. Manchmal gibt es sogar noch mehr Glieder in der Kette. Endstation sind die Betreiber der Nummern, die nicht selten im Ausland sitzen. Will man sich über sie beschweren, muss man von "Pontius zu Pilatus laufen", sagt Thomas Hoeren. Weder die Regulierungsbehörde noch die Telefongesellschaften sehen sich in der Verantwortung, den Scharlatanen das Handwerk zu legen. Zu Recht, jedenfalls was die Netzbetreiber betrifft. So befand der Bundesgerichtshof jüngst, dass sie schließlich keinen Einfluss darauf hätten, welche Teilnehmer zu welchen Zwecken in telefonische Kontakte träten. Zudem ist die Grenze zwischen skrupelloser, aber legaler Geldschneiderei und einem Rechtsverstoß oder gar Betrug fließend. Nur in ganz krassen und eindeutigen Fällen sehen sich die Netzbetreiber veranlasst, die entsprechende Nummer abzuschalten. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein Verein: die Freiwillige Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste, kurz FST genannt.

    Strafen sind zu lasch

    Vor über 10 Jahren von der Telekom gegründet, gehören ihr inzwischen auch viele Konkurrenten an. Wohl ahnend, dass dubiose Machenschaften die seriösen Geschäfte torpedieren, unterschreiben alle einen Verhaltenskodex, der das Schlimmste verhindern soll. Gleichwohl gingen im Jahre 1999 rund 900 Beschwerden ein. Im vergangenen Jahr waren es schon doppelt so viele. Verbraucherschützer Grote hat denn auch Zweifel an der praktizierten Form dieser freiwilligen Selbstkontrolle: "Die Sanktionen sind zu unbestimmt und ungenügend." Zudem versagt sie vollends, wenn "Anbieter auftauchen, für die der Kodex nicht mehr gilt, oder ausländische Anbieter diese Angebote über Auslandsrufnummern betreiben", ist selbst auf der Website des Vereins nachzulesen. Zudem werden seine Kontrolleure in der Regel erst aktiv, nachdem etwas schief gelaufen ist. Grote fordert stattdessen vorbeugenden Schutz: vor allem eine ordnungsgemäße Kennzeichnung der Anbieter in der Werbung sowie klare Vorgaben bei der Zuteilung der Nummern. Nicht zu vergessen: konkret formulierte, fühlbare Sanktionen bei Verstößen. Der richtige Hebel, so sind sich Verbraucherschützer Grote und Rechtsprofessor Hoeren einig, liegt bei der Regulierungsbehörde, die nicht nur Lizenzen vergibt, sondern sie im Ernstfall auch wieder entziehen kann [Ed: aber dabei offensichtlich völlig überfordert ist].

    Doch dazu müsste das Bundeswirtschaftsministerium ein klares Wort sprechen. Schon Mitte vergangenen Jahres vertröstete es einen verärgerten Verbraucher, dass Überlegungen angestellt würden, "inwieweit durch weitere Regelungen rechtwidrigem Handeln besser begegnet werden kann". Herausgekommen ist dabei bislang nur ein leicht verbesserter Auskunftsanspruch. Derweil tun sich immer neue Missstände auf.

    Im spektakulären Dialer-Fall in Berlin klären nun die Richter, ob die Kundin für ihren Schaden selbst aufkommen muss. Verklagt wurde sie von BerliKomm, jener Telefongesellschaft, bei der sie ihren Anschluss hat. "Weil sich derlei Streitereien häufen, wollten wir Rechtssicherheit", sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Die regionale Telefongesellschaft vermarktet selbst keine Servicenummern, ist aber verpflichtet, für den 0190- Anbieter das Geld einzuziehen. Aber auch in einem solchen Fall wie diesem? Christlieb Klages, der Anwalt der Beklagten, beschreibt das grundsätzliche Problem so: "Wir wollen, dass unsere Kids ins Internet gehen, aber belasten ausschließlich die Eltern mit dem wirtschaftlichen Risiko."

    Inzwischen informiert BerliKomm wenigstens die Kunden, wenn plötzlich ungewöhnliche Kostensprünge auftreten. Außerdem bietet die Telefongesellschaft an, 190er- Nummern sperren zu lassen. Unter Experten gilt das als die sicherste Methode, um sich zu schützen. Bei der Telekom wählten schon im Jahr 2000 rund 70.000 Kunden diesen Weg. Wie viele es im vergangenen Jahr waren, ist dort – zurzeit jedenfalls – noch nicht zu erfahren.

    Dafür lernen Interessierte auf der Website der Selbstkontrolleure, wie schwer es für Laien ist, mit heruntergeladenen Dialern fertig zu werden: Manche dieser Programme hätten sich in den Rechnern so platziert, "dass selbst professionelle PC-Anwender eineinhalb Stunden brauchten, um sie wieder zu entfernen". Nicht ermutigend für jene, die in die Falle gegangen sind. Dann heißt es, Beweise sichern, also erst einmal die Rufnummer herausfinden sowie die entsprechende Internet- Adresse, Bildschirmausdrucke anfertigen und Dialer- Dateien auf Diskette speichern; vorausgesetzt, man weiß, wie das geht. "Im Zweifel", so empfehlen die Verbraucherschützer, "den Computer in unverändertem Zustand der Kriminalpolizei übergeben." Anzeige erstatten, Rechnung reklamieren – und das Prozessrisiko einschätzen. Wenigstens das wird einfacher, sobald der Berliner Fall zu den Akten gelegt ist.



    T E L E F O N M A R K T

    Täglich ins Endspiel

    Bei ihrem Angriff aufs Telekom-Monopol setzten viele Anbieter auf kurzfristigen Erfolg. Nun straucheln etliche. Und der Wettbewerb? Die Marktkontrolleure sitzen in der Klemme.

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 14/2002, 4. April 2002, Seite xx (Wirtschaft). [Original]

    Es war ein fulminanter Start. Gleich zu Beginn des Wettbewerbs auf dem deutschen Telefonmarkt sahen viele Hunderte neuer Anbieter ihre Chance. Die Gesprächsgebühren sind in den vergangenen vier Jahren so rapide gesunken wie in keinem anderen Land je zuvor. Womöglich aber wurde nur ein Strohfeuer entfacht.

    Auf dem Markt macht sich Untergangsstimmung breit. So mancher Rivale des Exmonopolisten Telekom ist bereits pleite. Viele kämpfen nur noch ums Überleben. Der Fernmelderiese selbst schreibt rote Zahlen. Etliche Tarife steigen wieder. Das alles spricht nicht gerade dafür, dass die Liberalisierung des Milliardenmarktes nachhaltig von Erfolg gekrönt sein wird. Schon macht das Wort von der Remonopolisierung die Runde.

    Auf der Suche nach den Schuldigen zeigt jeder auf den anderen. Ron Sommer, der Chef der Deutschen Telekom, behauptet: "Die Wettbewerber haben gepennt." Die wehren sich mit dem Vorwurf, der Exmonopopolist missbrauche seine Marktmacht, um Konkurrenz schon im Keim zu ersticken. Die Marktkontrolle habe versagt. Die Telekom müsse viel strenger an die Kandare genommen werden.

    Das grundsätzliche Problem für alle am Markt: Nur das Mobilfunkgeschäft wächst noch. Zwar wird auch im Festnetz so viel telefoniert und gesurft wie nie zuvor, aber zu so günstigen Preisen, dass dort der Umsatz stagniert. Von Gewinnen können die meisten nur träumen. Daran ändert wenig, dass nationale Ferngespräche im Februar wieder um 2 % teurer waren als im Vorjahr.

    Einige Anbieter der ersten Stunde wie die großen Herausforderer Veba, RWE, Viag, Thyssen oder DaimlerChrysler haben ihre Telefon- Töchter längst verkauft. Etliche kleinere, wie beispielsweise TelDaFax, Callino oder Viatel, überlebten nicht. Andere, wie Talkline, wollen sich aus dem Geschäft mit dem Festnetz verabschieden. Selbst MobilCom, jenes Unternehmen, das den Markt zunächst am heftigsten aufmischte, kündigte schon vor seinem bizarren Streit mit France Télécom über den Mobilfunk (siehe nächste Seite) an, das Festnetzgeschäft in seine Internet-Tochter Freenet auszulagern.

    Es könnte noch schlimmer kommen. "Ein großer Teil unserer Mitglieder wird das Jahr nicht überleben", prophezeite bereits Joachim Dreyer vom Branchenverband VATM. Er fürchtet sogar eine Remonopolisierung zugunsten der Telekom. Der wirft auch Verbandsgeschäftsführer Jürgen Grützner "massive Behinderungs- und Verzögerungsstrategien" vor, wenn es darum geht, ihre Infrastruktur zu nutzen. Kein Wunder, dass der Druck auf den Chef der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Matthias Kurth, wächst. Grützner: "Wettbewerb muss hart erkämpft werden. Kurth lässt nach wie vor offen, wie er den Kampf gewinnen will."

    Zwei Minister im Clinch

    Nicht so gern reden die Branchenvertreter darüber, dass sich ihr Klientel, zum großen Teil jedenfalls, selbst in die Sackgasse manövriert hat. Die Hasardeure in den eigenen Reihen initiierten einen geradezu ruinösen Preiskampf: Schon im April 1998, also 4 Monate nach der Marktöffnung, stürzte der Preis einer Ferngesprächsminute von 31 auf 10 Cent. Inzwischen sind die günstigsten Angebote bei rund 3 Cent angekommen. Billiger geht's jetzt nicht mehr.

    Die Telekom verlor – gemessen an den Gesprächsminuten – rund 40 % bei nationalen Ferngesprächen und 50 % bei Auslandsgesprächen. Auch in den Ortsnetzen einiger großer Städte büßte sie schon Marktanteile bis zu 12 % ein. Allerdings konnte sie im großen Rest der Republik ihre lokalen Gehege verteidigen – sehr zum Ärger ihrer Rivalen. Sie sind auf den direkten Draht zum Kunden angewiesen, wollen sie sich langfristig am Markt etablieren. Im Kampf um jede Telefonbuchse schlagen etliche womöglich ihr letztes Gefecht.

    Der heftigste Vorwurf: Die Telekom versuche, alle anderen Anbieter mit unschlagbar günstigen Tarifen bei der superschnellen Verbindung DSL kaltzustellen – und so ihre Dominanz in den Ortsnetzen zu betonieren. Ein Missbrauchsverfahren der Regulierungsbehörde führte inzwischen zwar dazu, dass der komfortable Internet- Zugang beim Fernmelderiesen demnächst teurer wird. Nicht teuer genug, protestiert aber die Schar der Wettbewerber. Die sieht sich zur "Geldvernichtung" gezwungen, will sie die Telekom unterbieten.

    Das absurd erscheinende Ergebnis nach vier Jahren Wettbewerb: Die Telekom wird immer häufiger gewungen, die Preise für ihre Kunden zu erhöhen, damit den Wettbewerbern nicht die Luft ausgeht. Schon gleich zu Beginn der Marktöffnung musste sie die Tarife für die Telefonauskunft anheben, damit ihre Rivalen überhaupt eine Chance hatten. Im kommenden Mai werden jetzt auch noch für die Masse der Telekom- Kunden die Grundgebühren für analoge und ISDN- Anschlüsse steigen. Hinter den Kulissen tobt derweil ein komlizierter Streit um die "wahren Kosten" der begehrten Ortsnetze.

    Jahrelang galt ein Anstieg der Grundgebühren politisch als tabu, so wie früher der Brotpreise. Das aber führte unter anderem dazu, dass sich alternative Technologien, wie beispielsweise Richtfunk auf der so genannten letzten Meile, erst gar nicht durchsetzen konnten. Auch die Anbieter von Telefonie und Internet- Zugängen via Fernsehkabel müssen scharf kalkulieren, bevor sie in den Ausbau der Netze investieren. Dass sich ein solches Engagement – vorerst jedenfalls – für ihn nicht lohnt, wusste auch John Malone, der amerikanische Kabelkönig. Er wollte der Telekom einen großen Teil ihres TV-Netzes abkaufen, sich aber vom Kartellamt nicht zwingen lassen, sofort in den Kampf um Telefonkunden und Surfer einzusteigen. Er ließ den Deal schließlich platzen.

    Der Wirtschaftsminister und seine Behörde sitzen, das zeigt auch noch ein weiteres Beispiel, regelrecht in der Klemme. So zwingt die EU den deutschen Gesetzgeber dazu, auf hierzulande höchst umstrittene Weise für mehr Wettbewerb im Ortsnetz zu sorgen: mit der Einführung des Call-by-Call- Verfahrens, dass auf den Fernstrecken zwar für einen drastischen Preissturz, nicht aber für einen nachhaltigen Wettbewerb sorgte.

    Zähneknirschend fügte sich Wirtschaftsminister Werner Müller dem Ukas aus Brüssel. Hans Eichel, der Finanzminister, stellt sich hingegen inzwischen quer. Vergangene Woche stoppte er seinen Kollegen – erst einmal. Das Call-by-Call- Verfahren im Ortsnetz sei "ökonomischer Unsinn", verlautet aus seinem Ministerium. Ähnlich sieht das nicht nur die Telekom. Auch etliche ihrer Rivalen haben in Brüssel und Berlin schon lauthals Protest angemeldet.

    Die Citycarrier, also regionale Telefongesellschaften wie Isis in Düsseldorf oder NetCologne in Köln, fürchten um ihre vielen Milliarden Mark, die sie bislang in die Ortsnetze investierten, um dem Platzhirschen Telekom Paroli bieten zu können. Das Call-by-Call- Verfahren würde Billiganbietern die Chance eröffnen, mit minimalem Aufwand in dieses Geschäft einzusteigen. Die Kunden könnten, wie schon bei Ferngesprächen, von Fall zu Fall den Anbieter wechseln. Für die Citycarrier ein Desaster. Paradox: Was für mehr Wettbewerb sorgen soll, würde ihn womöglich zerstören.

    Guter Rat ist rar

    Der Fall zeigt: Die Lage wird immer heikler. Zu unterschiedlich sind inzwischen die Interessen der Telekom- Rivalen, um ihnen allen gerecht werden zu können. Was dem einen nutzt, schadet dem anderen. Das für alle frustrierende Resultat: Der Wettbewerb in Deutschland wird zunehmend von Richtern gestaltet. Viele hundert Klagen landeten inzwischen bereits vor dem Kadi.

    Die komplizierte Gemengelage ist die Folge einer Fehleinschätzung gleich zu Beginn des Wettbewerbs. Weil der Gesetzgeber verhindern wollte, dass lediglich einige wenige finanzkräftige Konzerne durchstarten, die sich den Aufbau einer eigenen Infrastruktur leisten konnten, gab man auch kleinen Newcomern eine Chance. Sie brauchten nur einen Rechner auf- und ein paar Informatikstudenten einzustellen – und schon brummte das Geschäft: allerdings nur im Call-by-Call-Verfahren und bislang nur bei den Ferngesprächen.

    Hunderte gingen an den Start. Die Telekom musste ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen – zu amtlich verordneten Preisen, die fortan als Schmerzgrenze für alle Preiskämpfe fungierten. Von den staatlich regulierten Margen sollten alle gleichermaßen profitieren. Das taten sie auch. Doch statt – wie vom Gesetzgeber seinerzeit erhofft – ihre Gewinne zu investieren, setzten viele auf kurzfristigen Erfolg – und kassierten nur ab. Und weil sich die Kunden als höchst flüchtig erwiesen, drückten die Billiganbieter ihre Tarife immer weiter.

    Zu Innovationen und nachhaltigen Geschäftsmodellen hat diese Entwicklung bei den meisten Anbietern nicht geführt. Ein stabiler, sich tragender Wettbewerb blieb aus. "Eine Phase der Konsolidierung", konstatierte Matthias Kurth jüngst nach einer Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahre. Und das heißt: noch mehr Pleiten und Übernahmen.

    Daraus aber gleich – wie der VATM – die Bedrohung einer Remonopolisierung abzuleiten, "entbehrt jeder Grundlage", kontert Telekom-Chef Sommer. "Nach dem Preisverfall der vergangenen Jahre und den damit verbundenen Margenverlusten scheiden jetzt genau diejenigen Anbieter auf dem Markt aus, die rein auf Arbitrage gesetzt haben", sagt er.

    Zudem kann er darauf verweisen, dass nach wie vor noch jede Menge Anbieter am Markt präsent sind. Darunter aber viele kleine Nischenanbieter, deren Langlebigkeit fraglich ist. Und nur einige wenige Herausforderer mit tragfähigen Konzepten, wie beispielsweise Colt. Die aber konzentrieren sich in der Regel auf das lukrative Geschäft mit Großkunden.

    Lediglich ein Einziger auf dem zersplitterten Markt versucht sich rundum als ernsthafter Gegenspieler der Telekom zu positionieren: Harald Stöber, der Chef von Arcor. Pech für ihn, dass die britische Konzernmutter Vodafone ein reiner Mobilfunker ist und zum Geschäft mit den Festnetzen keinen Draht hat. Bislang schaffte es der ambitionierte Arcor- Chef, sich den nötigen Freiraum zu erhalten. Doch auch er gerät unter Druck: Ende Februar musste er verkünden, 600 Stellen zu streichen. Obwohl Jammern nicht zu seinen Stärken zählt, beklagt zwar auch er die geschickte Taktiererei der Telekom. Gleichzeitig aber gibt er zu: "Der im Call-by-Call- Markt eingetretene Preisverfall hat ein Niveau erreicht, das für den wirtschaftlichen Aufbau eines Unternehmens nicht mehr ausreichend ist."

    Gepannt schaut die Branche nun nach Berlin. Im Wirtschaftsministerium denkt man inzwischen über einen neuen Ordnungsrahmen für den kippeligen Markt nach. Zurzeit sondieren die Experten dort noch, wo es künftig langgehen soll. Ihr Problem: Die Branche macht es ihnen nicht gerade leicht, herauszufinden, was dem Markt wirklich nutzt: "Es gibt kaum noch ein Thema, bei dem die Wettbewerber der Telekom eine einheitliche Auffassung vertreten", bedauert Staatssekretär Alfred Tacke.




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    © 2000-2005 – Dipl.-Ing. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 20.12.2009 12.42 Uhr