Die Aussagen von Winfried Wolf lesen sich 10 Jahre später als prophetisch, angesichts der miserablen Entwicklung der T-Aktie. Bevor sich Winfried Wolf als Verkehrsexperte einen Namen machte und schließlich sogar als Unabhängiger auf der Liste der PDS in den Bundestag einrückte, galt er als einer der renomiertesten marxistischen Ökonomen in der Bundesrepublik. Beispielsweise hat er gemeinsam mit Ernest Mandel unter dem Titel "Cash, Crash und Crisis" ein Buch zu den Hintergründen des Börsenkrachs von Oktober 1987 veröffentlicht.
Mit der T-Aktie ins Glück?
Winfried Wolf über jene Aspekte des Telekom-Aktiengangs, die die T-Werbestrategen wohlweislich ihren Opfern nicht zumuten wollten.
Aus: Alpha Press Dez.96/Jan.97. Das Schwäbisch Haller Monatsblatt. Publiziert auch in: cl.wirtschaft.allgemein. 20. Dezember 1996. Kontakt (auch für Abos): R.GRUEN@LINK-CR.bawue.cl.sub.de. Das folgende Alpha Press Interview wurde am 19.11.1996 geführt dem Tag nach dem "T-Day" (Börsengang der T-Aktie).Alpha Press: Die Presse jubelt. Dank einer raffinierten Werbekampagne ist es der Telekom gelungen, ihre T-Aktien unter das Volk zu bringen. Die als "Aktien-Muffel" gerügten Deutschen standen Schlange nach der T-Aktie, überall war das Ding im Gespräch. Warum sollen eigentlich alle Deutschen Börsenspekulanten werden?
A B G E Z O C K T
Autor: Unbekannt. Sie machen es seit Jahren schon,
erst Bundespost, jetzt Telekom.
Die Geldgier immer noch frohlockt,
der Kunde, der wird abgezockt!
Der Boss Ron Sommer grinst vergnügt,
das Volk ist dumm, merkt nicht, wer lügt.
Doch hier irrte sich der Knabe,
ein Gericht stoppte sein Gehabe.
Und ist das Schwindeln jetzt vorbei?
Nein, Aktien sind der neuste Schrei.
Die bietet jetzt der Saubermann
wie Sauerbier den Kunden an.
Wie immer Leistung er verspricht!
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.
Der Preis ist sicher überhöht,
wenn Ihr es in der Zukunft seht.
Denn draußen stehen schon bereit,
die großen Firmen dieser Zeit,
und Konkurrenz hebt das Geschäft,
nur für die Telekom steht’s schlecht.
Die Preise geh’n in den Keller,
doch die Aktien fallen schneller.
Wer investiert wird’s erfahren:
Geld ist weg in zwei, drei Jahren!
Dieses zum Interview passende Telekom-Gedicht ist der Sammlung T-Jokes entnommen. Gefunden wurde es am 31. August 1996 also vor dem T-Börsengang im Z-Netz. Winfried Wolf: Zunächst geht es darum, daß der Staat eine Art Notschlachtung vornimmt. Herr Waigel [Ed: damals Bundesfinanzminister, CSU] hat leere Kassen und will, daß dringend Geld in die Kassen gespült wird. Deswegen werden eine ganze Reihe von Staatsunternehmen verkauft Unternehmen, die selbst für das Grundgesetz bisher beim Staat angesiedelt waren wie die Deutsche Bahn AG (früher Bundesbahn), wie die Post, wie die Telekom. Es wird versucht, kurzfristig die Löcher in den Staatshaushalten zu stopfen. Mittelfristig wird allerdings das Geld fehlen, das früher die Gewinne der Telekom regelmässig in die Staatskassen hereingespült haben. Der andere Effekt ist der, daß die Kleinanleger damit das Gefühl bekommen, sie wären beteiligt am Unternehmen Kapitalismus was natürlich nicht stimmt. Sie sind nicht beteiligt, und sie können auch ganz bös reingelegt werden.
Alpha Press: Wie ist es um die Chancen der Kleinanleger bestellt, mit den Aktien reich zu werden. Dabei sind ja bekanntlich Haken im Spiel. Aktien bekommt man nicht umsonst. Bei Kauf und Verkauf von Aktien sind Gebühren für Broker fällig usw.
Winfried Wolf: Man hat die Leute mit 1 Milliarde DM heiß gemacht. Man hat eine riesige Kampagne laufen lassen, die insgesamt 1 Milliarde DM gekostet hat, um diese große Zahl von Kleinaktionären an die Börse zu locken. Es ist völlig normal, daß da der Kurs steigt. Die entscheidende Frage ist: Wie lange hält das an? Sind die Kleinanleger in der Lage, dann rechtzeitig auszusteigen, wenn der Kurs der Telekom-Aktie wieder abbröckelt?
Alpha Press: Es gibt schon Erfahrungen mit anderen Aktien. Vor vielen Jahren ging VW an die Börse früher auch ein Staatsunternehmen. Auch andere Telekom- Unternehmen etwa in Japan oder Großbritannien gingen schon vor einigen Jahren an die Börse. Welche Erfahrungen gab es denn damals?
Winfried Wolf: Zunächst gab es wirkliche Katastrophen bei einigen dieser Unternehmen. Das gilt für die VEBA-Aktie, für Volkswagen, für Preussag und auch für NTT in Japan. Da liegt heute noch der Kurs deutlich unter dem damaligen Ausgabekurs und natürlich unter dem zeitweiligen Höchststand, der viele Leute zum "einsteigen" ließ. Es gibt auch andere Erfahrungen, wo z. B. bei British Telekom heute die Kurse höher liegen als bei der Ausgabe der Aktie.
Das Entscheidende ist aber: Der Kleinanleger ist gar nicht in der Lage auf die schnellen Aktientwicklungen zu reagieren. Und im Grunde ist auch die T-Aktie eine hochspekulative Aktie, wo jetzt schon in den ersten 3 Tagen hunderttausende von Leuten kurz ein und ausgestiegen sind, um Gewinn-Mitnahmen zu realisieren. Das können aber nur wirkliche Profis, die Online mit Computern ans Börsengeschehen angeschlossen sind. Für den normale Kleinanleger, der bisher zur Bank gewatschelt ist und versucht, seine Aktie zu verkaufen, ist längst das Rennen gelaufen.
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Kursverlauf der T-Aktie in den ersten Wochen nach dem 1. Börsengang vom 18.11.1996. Die Gewinn-Mitnahmen in den ersten Tagen sind deutlich zu erkennen. Im August 2006 wird der Kurs nur noch bei um die 11 Euro (rund 21,50 DM) liegen also deutlich unter den Anfangskursen von 1996. Viele Kleinanleger haben mit der T-Aktie seit 1996 sehr viel Geld verloren. (Grafik: 10.12.1996 khd)
Alpha Press: Momentan "brummt" es ja an den Börsen. Dow Jones und Dax haben inzwischen historische Höchststände erreicht. Es gibt schon warnende Stimmen, daß das nicht lange so weitergehen kann. Dann zwischen florierendem Börsengesehen und weitgehend stagnierender Volkswirtschaft öffnet sich die Schere immer weiter. Geht das immer so weiter?
Winfried Wolf: Es gibt ja den blöden Spruch, wonach Geld arbeitet. Man hat aber Geld noch nie "arbeiten" sehen. Letzten Endes kann aller Neuwert in unserer Gesellschaft nur von menschlicher Arbeit stammen. Letzten Endes wird auch die Spekulation auf spätere Gewinne in der realen Produktion etwas anderes ist Spekulation nicht daran gemessen werden, ob real die Menschen diese neuen Werte schaffen können.
Wenn es so ist wie Du sagst ich stimme dem zu, daß die reale Produktion dümpelt, daß 1, 1,5 oder 2 Prozent Wachstum im Jahr erzielt werden und gleichzeitig die Börsen Höchstständen entgegentaumeln, wird irgendwann der Punkt kommen, wo sie heruntergeholt werden auf den Boden der realen Tatsachen der materiellen Produktion. Die Börsianer in ihrem Jargon sprechen dann davon, daß die Seifenblase der Spekulation aufgestochen wird, daß schlagartig die Kurse zusammensinken wie im Oktober 1987 es der Fall war. Oder wie es in Japan in den letzten 5 Jahren passiert ist und sich bis heute nichts daran geändert hat.
Der Nikkei Index [Ed: Aktienkursindex an der Börse von Tokio], der einzige von den großen Börsenindices, den Du nicht erwähnt hast, hatte schon einmal die Marge von 40.000 erreicht und dümpelt seit 3 bis 4 Jahren bei 19.000 bis 23.000 herum. Das heißt: Die Leute, die bei 40.000 Aktien aus dem Bestand des Nikkei gekauft haben, haben heute einen Verlust von 4050 Prozent. Das hängt damit zusammen, daß damals in Japan eine riesige Spekulationsblase da war, in großem Ausmaß Boden z. B. Gelände der frisch privatisierten Bank verkauft wurde und dann 1989/90 die Bodenpreise zusammengesackt sind, gleichzeitig die Gewinne der großen Unternehmen einbrachen. Davon hat der NIkkei sich noch nicht erholt.
Ich persönlich bin sicher, daß das Gleiche mit dem Dow Jones, mit dem DAX, mit dem Fuzi in London passieren wird. Dann werden vor allem die Kleinanleger und die kleinen und mittleren Firmen das Nachsehen haben.
Alpha Press: Die Telekom ist momentan dabei ihre Belegschaft drastisch zu reduzieren von rund 210.000 auf 170.000 im Jahr 2000. Gibt es eine Beziehung zwischen dem Personalbestand der Firmen und deren Aktienkursen?
Winfried Wolf: Es gab vor einigen Wochen eine Schlagzeile im "Wallstreet- Journal": "Arbeitslosenzahl in den USA um 1 Prozentpunkt gesunken Gefahr für New Yorker Börse". Wenn die Arbeitslosenzahl in den USA etwas gesunken ist, gab es die Gefahr, daß der Börsenkurs aller Aktien abrutschen könnte. Das Gleiche kann man bei der T-Aktie oder anderen Aktien sehen. Es geht darum: Alle Gewinne müssen von Menschen erarbeitet werden. Wenn es gelingt, daß bei der Telekom statt 212.000 nur 100.000 Menschen den gleichen oder gar einen höheren Umsatz erwirtschaften, steigt die Aktie. Denn dann müssen weniger Menschen bezahlt werden und der Gewinn wird verteilt auf Aktionäre, Großaktionäre in der Regel.
Insofern ist der Zusammenhang real da. Je weniger Beschäftigte hohe Umsätze erwirtschaften, je mehr geschuftet wird, je mehr geschwitzt wird bei den noch Beschäftigten, desto höher sind die Gewinne für einige Wenige. Insofern besteht der Zusammenhang real, wenn auch fatal und brutal für die gesamte Gesellschaft, nicht aber für einige wenige, die kleine Minderheit von reichen privilegierten Spekulanten.
Alpha Press: Vielen Dank für das Gespräch.
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