From: MX%"Tauss@mdb5.bn.eunet.de" 2-JUL-1996 15:04:07.14 To: DIT CC: Subj: Pressemitteilung Wolfgang Thierse / Joerg Tauss From: "Joerg Tauss, MdB" X-MX-Warning: Warning -- Invalid "To" header. To: Vitueller Presseverteiler Date: Tue, 2 Jul 1996 14:55:10 +0100 Subject: Pressemitteilung Wolfgang Thierse / Joerg Tauss [ Der vollstaendige Text des Entschliessungsantrages findet sich in Kuerze auf der Homepage von Joerg Tauss: http://www.fu-berlin.de/POLWISS/mdb-projekt/tauss/ ] Wolfgang Thierse / Joerg Tauss Wir wollen der Informationsgesellschaft eine Richtung geben Die SPD-Bundestagsfraktion hat einstimmig den Antrag "Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" beschlossen. Dazu erklaeren der Stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende, Wolfgang Thierse und der fuer Informations- und Kommunikationstechnik in der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung zustaendige Abgeordnete, Joerg Tauss : Deutschland erlebt - wie alle anderen Industriegesellschaften auch - eine technische Revolution, die im Ausmass und in ihrer Wirkung die Industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts uebertreffen wird. Das jedenfalls ist die fast einhellige Meinung wissenschaftlicher Experten. Die digitale Informationsverarbeitung ist eine Schluesseltechnologie unserer Zeit. Schon jetzt bauen viele andere Technologien und Innovationen darauf auf. Die breite Anwendung der Informations- und Kommunikationstechniken wird unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen, Art und Umfang von Beschaeftigung, die Produktion von Guetern und die Erbringung von Dienstleistungen, aber auch die Innovationsfaehigkeit von Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt immer mehr beeinflussen. Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor der grossen Herausforderung, sich in eine veraenderte und staendig weiter veraendernde weltweite Arbeitsteilung neu eingliedern zu muessen. Beschaeftigung, Wohlstand und soziale Sicherheit haengen in Zukunft mehr denn je davon ab, dass wir unsere eigentlichen Staerken - Wissenschaft und Forschung, industrielle Umsetzungsfaehigkeit sowie die Qualifikation der Menschen - auch nutzen. Wirklichen revolutionaeren Veraenderungen wird unsere Gesellschaft aber erst durch die globale Vernetzung der Informationstechnik unterworfen, deren Vorlaeufer und Integrator das Internet ist. Jetzt schon gilt, dass nationale Grenzen an Bedeutung verlieren; Unternehmensstrukturen, Managementmethoden, Kultur- und Rechtsraeume, Politik und Freizeitverhalten befinden sich in einem raschen Wandel. Politik kann dieser Herausforderung nur dadurch gerecht werden, dass sie einen integrierenden Ansatz formuliert, der die einzelnen Schachtelpolitiken ueberwindet. Zustaendigkeitsgezaenk, wie es augenblicklich innerhalb der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem "Multimedia-Gesetz" zwischen einzelnen Ressorts stattfindet, ist durch und durch altes Denken. Unter solchen Bedingungen wird es den Regierenden nicht gelingen, wie geplant bis Ende September eine Kabinettsvorlage zu erstellen. Willy Brandt sagte einmal in anderem Zusammenhang: "Das Wort veraltet im Munde". Diese Aussage gilt auch fuer das grosse Thema "Informationsgesellschaft". Die Zeitraeume, ueber die sich der gesellschaftliche Wandel erstrecken wird, sind unklar und die technischen Innovationszyklen werden immer kuerzer. Viele Neuerungen ueberleben sich binnen weniger Wochen. Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Politik muss sich die Unsicherheit, die von dieser ungeheuren Dynamik ausgeht, immer wieder vergegenwaertigen. Deswegen spiegelt der vorliegende Antrag lediglich den gegenwaertigen Stand der Diskussion wider und beleuchtet folglich nur jene Facetten der Informationsgesellschaft, die einigermassen ueberschaubar und identifizierbar sind. Nicht trotz sondern wegen dieser Unsicherheit ist es notwendig, dass sich der Deutsche Bundestag ausfuehrlich mit der "Informationsgesellschaft" befasst. Die Politik darf dieses Thema nicht laenger den verschiedenen Expertenrunden entweder des Bundeskanzlers oder der zahlreichen Seminar- und Konferenzveranstalter ueberlassen. Wir begruessen ausdruecklich das Vorhaben des Vorsitzenden der eingerichteten Enquete-Kommission des Bundestags, des sozialdemokratischen Abgeordneten Siegmar Mosdorf, nicht wie ueblich zwei Jahre mehr oder weniger im Stillen zu arbeiten, sondern in laufenden Debatten Position zu beziehen. Das ist die einzige angemessene Arbeitsweise. Denn ein umfaenglicher, nach zwei Jahren vorgelegter Abschlussbericht haette eingedenk der rasanten Entwicklung unter Umstaenden nicht mehr Charme als ein Buendel Altpapier. Deshalb lautet die Erste Botschaft der SPD: Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Dialog ueber den tiefgreifenden Wandel, der von den Informations- und Kommunikationstechniken ausgeloest wurde und von ihnen vorangetrieben wird. Das Thema "Informationsgesellschaft" ist immer noch ein Nischenthema. Das grosse Missverstaendnis, Informations- und Kommunikationstechniken seien hauptsaechlich Angelegenheit jugendlicher Computerfreaks, wissenschaftlicher Experten und von Goldgraeberstimmung gepackter Unternehmer, koennte sich schon bald als verhaengnisvoll herausstellen. Da die Informationsgesellschaft so gut wie keine Faser unserer Gesellschaft unberuehrt lassen wird, muessen wir die Buergerinnen und Buerger darauf vorbereiten. Wir brauchen sachliche und nuechterne Aufklaerung ueber die Chancen und Risiken statt Werbespots und Hochglanzbroschueren und wir brauchen verlaessliche Aussagen und Prognosen statt Weissagungen ueber das anbrechende "Goldene Informationszeitalter". Wir fordern die Bundesregierung nachdruecklich auf, der Empfehlung des Technologierats zu folgen und einen gesellschaftlichen Dialog ueber Leitbilder der kuenftigen Informationsgesellschaft zu initiieren. Nur so lassen sich Aengste und Befuerchtungen vermeiden, nur so gewinnt man die noetige Akzeptanz fuer die neuen Medien und nur so kann man der Technikfeindlichkeit vorbeugen. Die Menschen muessen erkennen koennen, was auf sie zukommt. Zweite Botschaft der SPD: Deutschland muss die enormen wirtschaftlichen Chancen der Informationsgesellschaft nutzen. Deutschland verfuegt ueber eine gute, im internationalen Vergleich sogar vorbildliche Telekommunikationsinfrastruktur. Mit der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes wurde die Voraussetzung dafuer geschaffen, dass sich die Infrastruktur durch Wettbewerb weiterentwickeln kann. Alle Anbieter werden fortan einem gesunden, permanenten Modernisierungsdruck unterworfen und einem produktiven Kosten- und Kreativitaetsdruck ausgesetzt. Die vorhandene Infrastruktur bietet eine hervorragende Ausgangsbedingung fuer die wirtschaftliche Entfaltung der Informations- und Kommunikationstechnik in Deutschland. Der Erfolg der Liberalisierungspolitik wird sich u.a. daran messen, ob es gelingen wird, die im internationalen Vergleich in Deutschland immer noch viel zu hohen laufenden Kommunikationskosten spuerbar zu senken. Gegenwaertig wirken diese Kosten objektiv entwicklungshemmend. Private Nutzer und grosse Teile der Wirtschaft - und der Wissenschaft im Uebrigen auch - scheuen immer noch vor diesen Kosten zurueck. Die deutsche Wirtschaft hat international im Schluesselbereich der Mikroprozessorenentwicklung und bei den Computerbetriebssystemen bereits unnoetig Terrain verloren. Um nicht auch in anderen Bereichen zurueckzubleiben, kommt es jetzt darauf an, die Gruendung neuer, innovativer Unternehmen zu unterstuetzen. Kleinere, bewegliche Unternehmen sind eher in der Lage, die sich bietenden Chancen auf einem sich rasch veraendernden Markt zu nutzen. Wachstumschancen sehen wir insbesondere im Bereich benutzergerechter Software. Bei Anwendungen und Inhalten liegen die groessten Chancen zur Identifizierung von Marktluecken. Voraussetzung dafuer ist aber die Ueberwindung dieser unsaeglichen wirtschaftlichen Traegheit hierzulande. Wir brauchen eine voellig neue Einstellung gegenueber der Vergabe von Risikokapital. Das gilt vor allem fuer die erstaunlich restriktive Vergabe von Bankkrediten an Softwareingenieure oder Entwickler neuer Multimedia-Produkte, deren Versuch der Selbstaendigkeit oft schon an mangelnder Kapitalausstattung scheitert und die dann kurzerhand in innovationsfreundlichere Laender wie z.B. die USA auswandern. Offensichtlich ist man immer noch nicht richtig in der Lage, die wirtschaftliche Bedeutung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken zu erkennen und die Chancen und Risiken junger Unternehmen einzuschaetzen. Der Staat kann appellieren, er kann durch die Reform des politischen Ordnungsrahmens zur Beseitigung struktureller und buerokratischer Hemmnisse beitragen und er kann durch eine gescheite Foerderungspolitik Gruenderunternehmen auf die Spruenge helfen. Die mutlos-konservativen Wirtschaftsphilosophien in manchen Chefetagen beseitigen, das kann der Staat freilich nicht. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass in vielen Unternehmen bei der Einfuehrung neuer Informations- und Kommunikationstechniken ausgerechnet das mittlere Management als Bremser fungiert. Diese Nachricht stammt uebrigens nicht aus Wirtschaftskreisen, sondern von Gewerkschaftskollegen, die auf der anderen Seite eine steigende Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenueber Formen der Telearbeit feststellen. Einen erheblichen Modernisierungsbeitrag kann aber auch die oeffentliche Hand leisten. Bei der Beschaffung von Geraeten und Software, der Nutzung elektronischer Dienstleistungen, der Einfuehrung neuer Formen der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeitgestaltung ist hier eine Vorreiterrolle denkbar. Bund, Laender und Gemeinden koennen dergestalt zur Verstetigung der Nachfrage nach innovativen Produkten und Dienstleistungen beitragen und mit Hilfe der Informationstechnik den eigenen Kosten- und Verwaltungsaufwand z.T. erheblich reduzieren. Dritte Botschaft der SPD: Der Verlust von Arbeitsplaetzen ist kein unentrinnbares Schicksal der Informationsgesellschaft : Euphorie und Panik machen nur realitaetsblind Es ist in hohem Masse irrefuehrend, ja verantwortungslos, wenn seitens der Bundesregierung fortlaufend neue Zahlen ueber angeblich millionenfach neu entstehende Arbeitsplaetze verbreitet werden. Die konkrete betriebliche Erfahrung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist naemlich eine voellig andere. Denn dort, wo Informationstechniken zum Einsatz kommen, wirken sie zunaechst als Prozessinnovation mit produktivitaetssteigernden und kostensenkenden Resultaten und tragen deshalb zum Abbau von Arbeitsplaetzen bei. Wie soll man vor diesem Hintergrund den Beschaeftigten noch glaubwuerdig vermitteln, dass der Verlust von Arbeitsplaetzen keineswegs naturnotwendig mit der Informationsgesellschaft verbunden sein wird ? Ernstzunehmende Schaetzungen sagen bis zum Jahr 2010 voraus, dass rund die Haelfte der Erwerbstaetigen im Informationsbereich, rund ein Drittel im Dienstleistungsbereich und nur noch 20 % im industriellen Bereich und in der Landwirtschaft taetig sein werden. Die bisherige Erfahrung zeigt zwar, dass der informations- und kommunikationstechnische Bereich der Volkswirtschaft die in der industriellen Produktion und in der Landwirtschaft verlorenen Arbeitsplaetze nicht ausgleichen konnte. Zumindest besteht die Chance, diesen Trend zu brechen. Denn in der gesamten Wertschoepfungskette (Netzinfrastruktur, Netzleistung, Server, Provider, Inhalte, Contenproviding, Endgeraete, Software, Consulting und Systemloesungen) koennen neue Arbeitsplaetze entstehen. Dabei wird es sich in grossem Masse um dienstleistungsbezogene Taetigkeiten handeln. Verlierer werden mit Sicherheit Un- und Angelernte sein. Bis zum Jahr 2000 duerfte sich ihr Anteil an den Erwerbstaetigen halbieren. Dieser Entwicklung laesst sich nur mit rechtzeitig eingeleiteten Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogrammen vorbeugen. Wahr ist, dass gegenwaertig niemand in der Lage ist, Verlust und Entstehen neuer Arbeitsplaetze zu saldieren. Wahr ist aber auch, dass jede Industriegesellschaft, die die informationstechnisch gestuetzte Modernisierung verhindert oder verschlaeft, nicht nur das bestehende Beschaeftigungsniveau nicht wird halten koennen, sondern auf jeden Fall einen Verlust an Arbeitsplaetzen zu verzeichnen haben wird. Und wahr ist, dass ohne eine breite Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive viele Arbeitnehmer von der technischen Entwicklung ueberrollt werden. Eine positive Arbeitsmarktbilanz wird ganz entscheidend davon abhaengen, ob es gelingt, die Weiterbildung als eine weitere Saeule des Bildungsystems strukturell fest zu verankern. Die vordringliche Aufgabe staatlicher Politik besteht darin, beim Uebergang in die Informationsgesellschaft mit dafuer zu sorgen, dass 1. eine andauernde Abschaetzung der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Folgen vorgenommen wird. Denn nur so kann im Rahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik reagiert werden. 2. dass Arbeitnehmerrechte bewahrt werden und das soziale Sicherungssystem nicht beschaedigt wird, 3. "Telearbeitnehmer" arbeits- und sozialrechtlich gleichgestellt werden, 4. soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards formuliert werden und 5. gesetzliche Regelungen in diesem Sinne angepasst werden. Darueber hinaus darf Politik eines ganz gewiss nicht, naemlich die Entstehung neuer Formen von Arbeit behindern. Aktiv unterstuetzen kann der Staat im oeffentlichen Dienst. Oeffentliche Einrichtungen sollten diese Gestaltungsmoeglichkeit im Rahmen der Verwaltungsreform auch konsequent nutzen. Vierte Botschaft der SPD : Beim Uebergang in die Informationsgesellschaft darf der Aufbau einer oeffentlichen Infrastruktur nicht vernachlaessigt werden. Deutschland braucht eine umfassende "Bildungspartnerschaft". Trotz der zu erwartenden Veraenderungen in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft reduziert die Bundesergierung ihre Aktivitaeten weitgehend auf die Entwicklung des wirtschaftlichen Wettbewerbs und vernachlaessigt den oeffentlichen Bedarf straeflich. Sie bleibt damit auf halbem Wege stehen. Wir haben als Sozialdemokraten daran mitgewirkt, dass die Telekommunikationsmaerkte liberalisiert und Modernisierungshemmnisse beseitigt werden konnten. Und das werden wir soweit erforderlich auch in Zukunft tun. Die Grundlagen fuer eine prosperierende Wirtschaft sind damit zumindest teilweise gelegt. Es ist aber jetzt dringend an der Zeit damit zu beginnen, den gesellschaftlichen, den oeffentlichen Bedarf zu decken. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Buergerinnen und Buerger an den modernen Informations- und Kommunikationstechniken und der freie Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen muss gesichert werden. Denn es besteht durchaus die Gefahr, dass sich eine neue soziale Spaltungslinie zwischen "information rich" und "information poor" herausbildet. Selbst in manchen Kreisen der Wirtschaft wird die Gefahr eines neuen "Informationsproletariats" durchaus erkannt. Wir wissen, dass die technische und kulturelle Beherrschung des Computers immer mehr zu einer Schluesselqualifikation, zur Eintrittskarte ins Berufsleben wird. Unsere Bildungseinrichtungen sind aber immer noch nicht ausreichend in der Lage, den jungen Menschen die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln. Sie werden es auch nach dem Auslaufen des Projektes "Schulen ans Netz", das von Bundesforschungsminister Ruettgers und der Telekom AG mit viel Tamtam gestartet wurde, nicht sein. Viel zu haeufig noch bleibt der Erwerb grundlegender Computerkenntnisse der Priviatinitiative ueberlassen. Wenn es zutrifft, dass der Staat fuer die Vermittlung elementarer Kulturtechniken zustaendig ist und die Beherrschung des Computers schon bald dazu gehoeren wird, dann haben wir es z.Z. mit einer neuen, untragbaren Form von Privatisierung von Ausbildungskosten zu tun, aus der ein weiteres, strukturbedingtes Bildungsgefaelle erwaechst. Mittelfristig schadet dieser Zustand auch dem Wirtschaftsstandort. Das Projekt "Schulen ans Netz" ist als Marketinginstrument der Telekom AG legitim, fuer einen Bundesbildungsminister ist es dagegen Ausdruck politischer Phantasielosigkeit. Allein der Titel stellt eine Art von Datenkompression oder Datenreduktion dar. Korrekt muesste er ungefaehr so lauten: "Die eine oder andere ausgewaehlte Schule fuer einen bestimmten Zeitraum zum Schnuppern ans Netz". Solch ein Titel waere nicht werbewirksam - dafuer aber ehrlich. Rund 60 Mio. DM stellen die Bundesregierung und die Telekom AG fuer drei Jahre zur Verfuegung. Wollte man hingegen jedes deutsche Klassenzimmer mit einem Netzanschluss und einem PC ausstatten, wuerde das mehr als 10 Mrd. DM kosten. Die Zahl soll lediglich auf die Dimension hinweisen, um die es geht. Angesichts des maroden Zustandes der oeffentlichen Haushalte werden Bund, Laender und Gemeinden nicht in der Lage sein, eine solche oder aehnliche Summe auch nur annaehernd aufzubringen. Politik muss also unkonventionelle Wege beschreiten. Wir schlagen darum eine umfassende "Bildungspartnerschaft" vor. "Bildungspartnerschaft" meint ein Buendnis von Bund, Laendern, Gemeinden, Netzbetreibern, Computerherstellern und Sofwareanbietern zur Versorgung der Bildungseinrichtungen mit moderner, interaktiver Kommunikationstechnik. In diesem Kontext hat privates Sponsoring durchaus einen Sinn. Wir sind der Auffassung, dass die Betreiber von Telekommunikationsnetzen verpflichtet werden sollten, einen Teil ihrer Uebertragungskapazitaeten im Rahmen dieser "Bildungspartnerschaft" zur Verfuegung zu stellen. Wir fordern den Bundesbildungsminister eindringlich und nachdruecklich auf, die potentiellen Buendnispartner moeglichst bald, am besten gleich nach der parlamentarischen Sommerpause an einen Tisch zu holen. Denn dann werden Tausende von Schulen die Ablehnung ihres Antrags erhalten haben. Im Uebrigen kann es nicht sein, dass die Bundesregierung kraeftig die Werbetrommel ruehrt, das Projekt nach drei Jahren auslaeuft und die Laender und Kommunen danach auf den Folgekosten haengen bleiben. So billig wird uns Herr Ruettgers nicht davon kommen. Fuer die gleichberechtigte Teilhabe der Buergerinnen und Buerger an den Informationstechniken benoetigen wir auf Dauer einen Universaldienst, der fuer die Zukunft die flaechendeckende und bezahlbare Versorgung sichert. Die im Telekommunikationsgesetz vorgesehene Beschraenkung des Universaldienstes auf "Sprachtelefonie mit ISDN-Leistungsmerkmalen" mag fuer den Augenblick genuegen. Auf Dauer muss der Universaldienst dynamisch der technischen Entwicklung und dem gesellschaftlichen Bedarf angepasst, regionale Versorgungsgefaelle muessen ueberwunden werden. Es kann ja nicht sein, dass man sich als privater Nutzer problemlos der neuen Techniken in Berlin, Muenchen und Hamburg bedienen kann, in Seelow, Bad Feilnbach oder Stade aber nicht. Fuenfte Botschaft der SPD: Eine Zensur im Netz findet nicht statt, der Rechtsstaat hat aber auch im Cyberspace zu gelten. Das Recht der Buergerinnen und Buerger auf Schutz ihrer Privatheit darf nicht wegreguliert werden. Der Staat muss an seinem Gewaltmonopol festhalten, der Rechtsstaat hat auch im Cyberspace uneingeschraenkt Gueltigkeit. Trotzdem besteht eines der ganz grossen Probleme der Informationsgesellschaft darin, geltende nationale Rechtsnormen unter den Bedingungen globaler Kommunikation durchzusetzen. Solange einzelne Straftatbestaende in den verschiedenen Rechts- und Kulturraeumen der Welt verschieden beurteilt werden, kann dieser Anspruch aber nicht im nationalen Alleingang eingeloest werden. Die Aufgabe nationaler Politik muss also hauptsaechlich darin bestehen, auf internationale Vereinbarungen fuer einen wirkungsvollen globalen Daten-, Verbraucher- und Urheberrechtsschutz zu draengen. Genauso wichtig ist die Formulierung internationaler ethischer und demokratischer Standards fuer die Datennetze. Fuer demokratische Staaten sollten Massnahmen wie Zensur, etwa eine generelle Ueberwachung elektronischer Kommunikation, die Filterung oeffentlicher Meinungsaeusserungen entlang inhaltlicher Kriterien oder gar ein Verbot vertraulicher Kommunikation ausgeschlossen sein. Allein anhand dieses Zusammenhangs laesst sich verdeutlichen, dass die Deregulierungskampagne der Regierenden nichts weiter als ein ideologisches Blendwerk ist. Zur Sicherung von Buergerrechten und zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen besteht sogar erheblicher Regulierungsbedarf. Das betrifft u.a. den Datenschutz und die Datensicherheit, das Urheberrecht und die soziale Sicherung von Erwerbstaetigen. Wenn ein deutscher Topmanager auf die Frage, wie sich Politik eingedenk der neuen Techniken verhalten soll, antwortet, sie moege bitte beiseite treten, dann wird offensichtlich, welch abenteuerliche Ideen in manchen Koepfen herumspuken. Von Deregulierung wird geredet, Wegregulierung ist anscheinend gemeint. Noch ist es der Staat, der dafuer zu sorgen hat, dass die technischen Innovationen weder Freiheitsrechte aushoehlen noch das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung beseitigen. Zurecht fuerchten sich die Menschen in unserem Land vor dem "glaesernen Buerger". Datenschutz ist deshalb ein zentrales Element einer demokratischen Gestaltung der Informationsgesellschaft. Dazu gehoert der wirksame Schutz der Vertraulichkeit fuer den privaten Bereich genauso wie fuer den wirtschaftlichen. Dazu gehoert aber auch die Identifizierung und Verfolgung von Straftaetern. Es kann nicht ernst gemeint sein, die Kommunikationsdienstleister und Anbieter von Netzzugaengen flugs zu verdeckten Ermittlern der Polizei zu erklaeren. Auch diese staatliche Aufgabe darf nicht wegreguliert werden. Fuer vertrauliche Kommunikation ueber die Datennetze muss die Moeglichkeit der teilnehmerautonomen Verschluesselung erhalten bleiben. Restriktive Regelungen zum Einsatz kryptographischer Verfahren waere verfassungsrechtlich fragwuerdig und wirtschaftspolitisch schaedlich. Fuer den Einsatz digitaler Signaturen, die die Authentizitaet des Kommunikationspartners rechtsverbindlich sichern sollen, sind unseres Erachtens abgestufte gesetzliche Regelungen zu treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion knuepft mit ihrem einstimmig beschlossenen Antrag "Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" nahtlos an das "Eckwertepapier" der SPD- Fraktion aus dem vergangenen Jahr an und erfuellt zugleich einen Auftrag des Mannheimer Bundesparteitags. Wir sind ueberzeugt, mit diesem Antrag eine vernuenftige Grundlage fuer eine breite gesellschaftliche Debatte vorgelegt zu haben, eine Debatte, zu deren Zustandekommen wir in den naechsten Wochen und Monaten beitragen wollen. -- Joerg Tauss, MdB, Bundeshaus, 53113 Bonn Tauss@mdb5.bn.eunet.de Tel.: + 49 - 228 - 1687639 Fax: + 49 - 228 - 1686639 -------------------------------------------------------------------------------- Return-Path: Received: from mail.Germany.EU.net by VAXSER.GRUMED.FU-BERLIN.DE (MX V4.1 VAX) with SMTP; Tue, 02 Jul 1996 15:03:53 GMT+02:00 Message-ID: <199607021256.OAA26248@mail.Germany.EU.net> Received: by mail.Germany.EU.net with SMTP (5.59:21/EUnetD-2.5.4.c) via EUnet id OAA26248; Tue, 2 Jul 1996 14:56:01 +0200 Comments: Authenticated sender is Organization: Deutscher Bundestag MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=US-ASCII Content-Transfer-Encoding: 7BIT Priority: normal X-mailer: Pegasus Mail for Windows (v2.23)